Süden und der Straßenbahntrinker
ist es so aufgeräumt, das kenn ich gar nicht so, Inge ist ziemlich… sie ist ziemlich chaotisch gewesen…«
Ruckartig drehte sie den Kopf und sah wieder zum Bett.
»Woran ist sie gestorben?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Hat sie öfter Perücken getragen?«
Der Anblick der Toten quälte Nike, dennoch musste sie weiter hinsehen.
»Ich kenn sie seit… drei, vier Jahren«, sagte sie leise. »Seit ich hier eingezogen bin… Ich hab ihre Blumen gegossen, wenn sie verreist war, ich hab…« Sie schwieg.
»Welchen Beruf hatte Frau Hrubesch?«
Nike atmete schwer, ich griff nach ihrem Arm und führte sie in den Flur. Bevor wir die Wohnung verließen, wollte ich sie noch über ein paar Dinge befragen. Allein, ohne den Hausmeister und andere Hausbewohner.
»Ich muss was trinken«, sagte sie.
»Nehmen Sie sich in der Küche etwas.«
Falls umfangreiche polizeiliche Untersuchungen nötig waren, würden meine Kollegen Nikes Fingerabdrücke sowieso in der Wohnung finden.
Sie trank Mineralwasser aus der Flasche. Ich blieb im Türrahmen stehen, die Hände in den Hosentaschen.
»Inge…«, begann Nike Zons, trank noch einen Schluck und stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank. »Ich weiß nicht… Ist sie umgebracht worden?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Aber Sie wissen es?«
Ich merkte, wie sie über vieles gleichzeitig nachdachte, auch darüber, wieso ich anscheinend lässig die Hände in der Hosentasche hatte.
»Meine Kollegen werden es herausfinden«, sagte ich.
Sie nickte, musterte mich und deutete auf einen Stuhl.
»Kann ich mich hinsetzen?«
»Natürlich.«
Sie setzte sich. »Ich bin total geschockt, ich weiß gar nicht… Ich bin total… mir ist fast schlecht. Aber… ich bin…«
»Aber Sie sind nicht wirklich überrascht«, sagte ich.
Sie starrte mich an. »Ich bin…«, keuchte sie. »Ja, ja… woher… ich bin schon überrascht… Nein, Sie haben… Natürlich bin ich überrascht, verflucht! Denken Sie, ich erwarte, dass meine Nachbarin ermordet wird! Ich war nur… als ich sie da liegen sah…«
»Welchen Beruf hatte Ihre Nachbarin?« Ich entschied mich die Hände aus der Tasche zu nehmen und die Arme zu verschränken.
»Sie machte… Filme. Manchmal. Früher war sie, glaub ich, Model, sie ließ sich fotografieren. Aber jetzt…jetzt war sie ja auch schon älter, sie hat aber immer noch Geld verdient…«
»Mit Filmen«, sagte ich.
Sie schwieg.
Ich hatte keine Uhr. Wo blieben meine Kollegen so lange?
Jedenfalls würde dieser Tag anders verlaufen, als ich es mir vorgestellt hatte. Und vermutlich auch die nächsten Tage. Mein Urlaub war definitiv zu Ende. Hätte ich mich nicht von Sonja überreden lassen, Holzapfel am Bahnhof zu treffen…
»Sie hat im Milieu gearbeitet«, sagte Nike Zons. Und schlug auf den Tisch, wie bei einem Reflex. »Nein, nein! Was red ich denn? Nicht im Milieu, wie das klingt! Sie war doch keine Nutte… Sie hat eben… Sie hat gearbeitet, ich weiß nicht, wieso erzähl ich Ihnen so was?«
»Wenn Frau Hrubesch umgebracht worden ist, werden meine Kollegen Ihnen viele Fragen stellen«, sagte ich.
»Sie können ihnen helfen.«
»Ja«, sagte Nike grimmig. Sie drehte das Gesicht weg.
»Kann ja sein! Sie hat Aufnahmen gemacht, und früher Filme, manche Männer stehen auf ältere Frauen, das ist nicht verboten, oder?«
»Nein«, sagte ich.
Nike stand auf. Sah sich um, als suche sie etwas, stellte sich nah vor mich.
»Was denken Sie?«, sagte sie. Ihre Augen waren dunkelblau und ziemlich kalt, fand ich.
»Sie haben damit gerechnet, dass etwas passieren könnte«, sagte ich. »Ihnen gefiel der Umgang nicht, den Frau Hrubesch hatte, Sie hatten Angst, ihr könne was zustoßen.«
»Ja, ja…«, sagte sie zögernd. Offenbar spürte sie, dass ich auf etwas anderes hinauswollte.
»Haben Sie mit ihr über Ihre Sorge gesprochen?«
»Nein«, sagte sie.
Natürlich hatte sie das nicht. »Sie waren auch nicht wirklich in Sorge«, sagte ich.
Jetzt wich sie zurück, beide Hände zur Faust geballt, die sie an ihre Jeans presste.
»Sie dachten, wer so lebt wie Frau Hrubesch, ist selber schuld, wenn etwas passiert. Sie haben rumspioniert, wenn Sie in der Wohnung die Blumen gegossen haben, stimmts?«
Sie brachte kein Wort heraus.
»Das ist alles nicht verboten, Frau Zons«, sagte ich und steckte die Hände wieder in die Hosentaschen. »Wie Sie gesagt haben, manche Männer mögen ältere Frauen in Pornofilmen oder auch im Leben. Kennen Sie Herrn Holzapfel
Weitere Kostenlose Bücher