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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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verstört. Er machte so einen verstörten Eindruck…«
    »Ja«, sagte ich. »Ich habe ihn auch gesehen.«
    »Ja, Sie auch… Ich bin dann hinter den beiden Männern her die Treppe runter, aus dem Haus raus. Und Bernhard hat ihn geschubst und gestoßen und ihn beleidigt. ›Du Hund du‹, hat er gerufen, ›du blöder Hund du, willst du Geld schnorren?‹, hat er gerufen, und Jeremias hat sich geduckt, immer geduckt, so… so…«
    Sie zog die Schulter hoch und senkte den Kopf. »So… und Bernhard hat nicht aufgehört… mit seiner Schreierei. Und dann hat er ihn geschlagen, hat ihn zu Boden geschlagen, und da hab ich ihn festgehalten. Ich hab mich wie eine Idiotin an ihn geklammert.«
    Mit einer sanften Bewegung zog sie ihre Hand aus meiner.
    »Jeremias ist weggelaufen«, sagte sie. »Er ist in den Park gelaufen. Ich hab Bernhard festgehalten, Leute haben uns beobachtet, mir war das alles so peinlich, so unsäglich peinlich. Ich kanns nicht erklären… Ich weiß nicht, warum er so ausrastet, wenn er nur den Namen Jeremias hört, er ist sehr eifersüchtig, Bernhard, er verträgt das irgendwie nicht, dass ich so lange mit einem Mann zusammen war. Wir… wir waren mal in einem Lokal, wo ich oft mit Jeremias gewesen war, und als Bernhard das erfahren hat, hat er durchgedreht, er hat Gläser runtergeschmissen, dann ist er aus der Kneipe raus und gegenüber in eine andere und da hat er sich einen Schnaps bestellt. Können Sie mir das erklären? Er hat doch gar keinen Grund eifersüchtig zu sein, das ist alles vorbei mit Jeremias. Ach…«
    Hastig rieb sie sich übers Gesicht. Und stand auf, schob den Stuhl nach hinten, dass er gegen die Wand krachte, erschrak darüber und stellte sich in die Ecke. Als müsse sie dort stehen, hinter der Tür, an die Wand gedrängt.
    »Was hat Jeremias zu Ihnen gesagt?«
    »Ich hab ihn gesucht«, sagte sie abwesend. »Er hatte sich versteckt, er hatte sich auf den Boden gelegt! In dem kleinen Labyrinth in dem Park, kennen Sie das? Er lag da, auf dem Bauch, die Hände über dem Kopf, voller Angst. Ich hab mich neben ihn gekniet, hab versucht mit ihm zu reden. Er hat nicht geantwortet. Er war völlig verstört.«
    »Hatten Sie den Eindruck, er war schon so, als er die Treppe hochkam?«
    »Ja«, sagte sie. »Aber da wusste ich noch nicht, wie schlimm es wirklich war.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Sie sah zu Boden, als läge Jeremias vor ihr, und hob ein wenig den Arm.
    »Er brachte keinen vollständigen Satz raus, er fing immer wieder an, stotterte, sagte Sachen, die ich nicht verstand…«
    »Was sagte er?«
    »Er sagte, er wär jetzt wieder da, er… er wär zurück… zurück zurück, wiederholte er dauernd. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Es gelang mir nicht. Gelang mir nicht.« Sie sah mich an. »Jetzt red ich schon so wie er! Er wiederholt auch immer alles.«
    »Was haben Sie noch getan?«, fragte ich.
    »Ich hab ihm geholfen aufzustehen. Er stand da, wankte, schaute mich eigenartig an, total wirr, und dann sagte er diesen Satz.«
    Sie ließ den Arm sinken und spielte mit ihren Fingern.
    »Er sagte: ›Ich hab die Frau umgebracht.‹ Nein, genau sagte er: ›Ich hab die Frau umgebracht, die Frau umgebracht.‹ Er wiederholte die drei Wörter. Und dann ging er weg.«
    »Hat er keinen Namen genannt?«
    »Nein, er sagte nur ›die Frau‹. Die Frau. ›Ich hab die Frau umgebracht.‹ Natürlich bin ich ihm hinterhergelaufen, aber er blieb nicht stehen. Ich wollt ihn festhalten. Ich hab mich an ihn geklammert wie vorher an Bernhard, genauso, genauso lächerlich. Und die Leute standen immer noch da und haben uns zugeschaut. Oder es waren andere Leute, ich weiß nicht. Vor unserem Haus ist eine Haltestelle für die Tram, da ist er hin. Und vorher hat er sich noch beim Bäcker eine Dose Bier geholt.«
    »Hat er die Dose bezahlt?«, sagte ich.
    »Bitte?« Sie blinzelte heftig.
    »Hatte er Geld dabei?«
    »Klar«, sagte sie. »Er hat die Dose bezahlt. Er hat sie bezahlt, hat sie aufgerissen, hat einen Schluck getrunken und ist rüber zur Haltestelle. Und ich bin hinter ihm her. Ich hab auf ihn eingeredet, er hat mich nicht gehört. Und dann kam die Tram, er stieg ein und fuhr weg. Ich war viel zu durcheinander, um mitzufahren, die Situation war so… so absurd… Was hätt ich tun sollen? Ich hab einen Fehler gemacht, stimmts? Ich hätt ihn nicht allein fahren lassen dürfen. Die Straßenbahn…«
    Sie wischte sich über den Mund, leckte sich die Lippen. Ich stand auf und reichte ihr ein Glas

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