Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
scharfe Gegenstände bei sich haben – sogar Stifte und Heftklammern sind verboten. Peter prüft den Empfang seines Telefons, aber durch diese Mauern dringt keine Funkwelle. Er wirft einen Blick auf Wendy. Sie ist bleich, beklommen. Er nimmt ihre Hand und hält sie fest, während er die Akte durchsieht, die man ihm an der Pforte ausgehändigt hat. Dem Polizeibericht zufolge hat sich Howard widerstandslos festnehmen lassen. Auf dem Revier bat er um eine Zigarette, die ihm verweigert wurde, woraufhin er kein Wort mehr sagte. Erst als die Bullen einsahen, dass er unter diesen Umständen nicht reden würde, durfte er seine Kippe rauchen. Er sagte aber nicht viel, nur dass er sich sein Opfer aufs Geratewohl ausgesucht habe – ob dieser oder ein anderer, das sei ihm gleich gewesen. Ein Familienvater sei es gewesen, wandte ein Bulle ein, was Howard nur mit einem Achselzucken quittierte. Peter blättert weiter. Die Verhandlung hatte zwei Tage gedauert. Howard hatte drei Anwälte abgewiesen. Der vierte, ein Pflichtverteidiger, versuchte, seinem Mandanten mit einem auf Cullens Kindheit, Redemption et cetera ausgerichteten Plädoyer den Hals zu retten, doch Howard war nach wenigen Minuten aufgestanden, hatte sich zu den Geschworenen gedreht und gesagt: »Hören Sie nicht auf das, was Ihnen der Herr Rechtsanwalt Dings auftischen will. Redemption oder nicht – ich bin ein Mörder. Also behandeln Sie mich auch so, sonst werde ich, wenn ich eines Tages hier rauskomme, jeden Einzelnen von Ihnen aufsuchen und umbringen, das schwör ich Ihnen. Ich bringe auch Ihre Kinder, Ihre Hunde, Ihre Ehepartner und Ihre Nachbarn um. Ich bin ein Wolf. Einen Wolf sperrt man nicht ein.«
Die Geschworenen brauchten keine Stunde für ihre Beratung. Sie verurteilten Howard zum Tod durch die Giftspritze. Peter schlägt die Akte wieder zu. Er hält immer noch Wendys Hand. Schritte nähern sich, der Schlüssel dreht sich im Schloss. Und dann steht ein zaundürrer Mann in orangefarbenem Overall in der Tür.
110
»Dreißig Minuten, Cullen.«
Howards Schädel ist rasiert. Seine Pupillen flackern unruhig, als hätten sie Mühe, längere Zeit auf einem Gegenstand zu verharren. Aber dann heftet sich sein Blick auf Peter, und er hört mit einem Schlag auf zu kauen. Im nächsten Moment hämmert er an die Tür. Das Guckloch öffnet sich.
»Was gibt’s, Cullen?«
»Unterredung beendet!«
»Wie bitte? Du bist doch erst vor einer Sekunde gekommen!«
»Ich berufe mich auf den milliardsten Verfassungszusatz, Blödmann. Auf den, der mir das Recht gibt zu beschließen, dass die Unterredung beendet ist.«
»Nur zehn Minuten, Howard.«
»Das sind mindestens zehn zu viel, Mann.«
»Ezzie ist tot. Collie ebenfalls.«
Howards Blick verdüstert sich. Langsam kommt er auf den Tisch zu und setzt sich Peter und Wendy gegenüber. Das Guckloch schließt sich wieder.
»Immer noch schön wie der frische Tag, Wendyschatz.«
Ein Hauch Rosa überzieht Wendys Wangen.
»Hast du eine Kippe, Pete?«
Howard legt seinen Kaugummi auf den Tisch, als ihm Peter eine Zigarette reicht und Feuer gibt. Langsam lässt er den Rauch entweichen.
»Wie sind sie gestorben?«
»Collie an Aids. Ezzie an einer Kugel.«
»Wer?«
»Ich.«
Ein kurzes Erstaunen huscht über Howards Miene. »Du hast unseren Riesen umgebracht?«
»Er ist durchgedreht. Wenn ich’s nicht getan hätte, hätten ihn die Bullen abgeknallt.«
Peter schlägt die Akte auf, blättert darin. Er sagt: »Ich habe mit meinen zwei Partnern eine ziemlich große Anwaltskanzlei. Und unbegrenzt Kredit. Ich hab dir das Formblatt für ein neuerliches Gnadengesuch mitgebracht.«
»Was glaubst du, wo du hier bist, Pete? Nach jahrzehntelangem Schweigen kreuzt du hier einfach auf, belästigst mich in meinem kleinen Zweitwohnsitz und bietest mir deine rettende Hand wie einem Penner – spinnst du oder was?«
»Es ist wegen der Nacht vor dem Sturm auf Redemption, oder?«
»Leck mich am Arsch, Peter. Reicht dir das als Erklärung?«
»Oder wegen Alabama Brannigan? Willst du ihretwegen sterben?«
Howard drückt seine Zigarette aus und steckt sich den Kaugummi wieder in den Mund.
»Ja, wegen dieser Heulsuse. Wegen ihr und wegen allem anderen.«
»Es war nicht unsere Schuld.«
»Siehst du, Peter, das ist genau die Sorte von Scheißgelaber, das ich definitiv nicht mehr ertrage. Schließlich war ja jedes unserer Verbrechen total verständlich und entschuldbar, nicht? Deswegen will ich, dass es aufhört. Deswegen hab ich mir
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