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Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption

Titel: Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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der Verlorenen Jungs. Marcellus klettert auf eines der oberen Betten und verkündet: »So, das ist mein Paddock, klar?«
    »Spiel dich hier nicht auf, Marcellus, sonst sag ich Ezzie, er soll oben schlafen.«
    »Nein, bitte nicht, Howie, oben krieg ich Angst!«
    »Reg dich ab, Ezzie, das sag ich doch nur, damit Marcellus ein bisschen Muffensausen kriegt«, antwortet Howard leise.
    Ezzie begreift und strahlt, und er sagt zu Marcellus: »Beweg bloß deinen Arsch hier runter, du Assel, das ist mein Bett.«
    Marcellus zuckt die Achseln und will von der oberen Etage heruntersteigen. In den Augen des Riesen glimmt Panik: »Was machst du?«
    »Na ja, ich lass dir das obere Bett. Wolltest du doch.«
    »Nein, nein, schon gut, bleib. Oben schlafen, das ist nix für mich, da raste ich aus.«
    »Okay, Dicker, alles klar.«
    Aus den Lautsprechern tönt die Stimme von Reverend Esterman und ruft zum Gebet. Alles strömt wieder aus den Zellen. Peter tritt auf den Flur hinaus und späht zur anderen Seite des Gebäudes hinüber. Wendy tut, als sähe sie ihn nicht. So haben sie es während der Pause vereinbart, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Peter schnürt es die Kehle zu, als Wendys Blick gleichgültig über ihn hinweggeht. Der dicke Buster brüllt. Am oberen Ende der Haupttreppe trifft der Gänsemarsch der Jungen mit der Reihe der Mädchen zusammen. Unter den kreppbesohlten Häftlingsschuhen erbeben die metallenen Treppenstufen nur wenig. Eine Stahltür gleitet zur Seite, als die Spitze der Schlange sich nähert, und gibt den Durchgang zum Südflügel des Kolonialhauses frei. Dort ist der große Gebetsraum mit seinen Kolonnaden, Holzbänken und hellbunten Glasfenstern. Es riecht nach Wachs und Weihrauch. Aus den Lautsprechern an den Wänden knistert es. Die Häftlinge setzen sich in die Bankreihen, die Jungen rechts, die Mädchen links. Der Saal endet in einer Bogenkrümmung wie die Apsis einer Kathedrale, anstelle des Altars aber stehen vorn ein Pult und mehrere Sessel mit roter Samtbespannung. Dahinter erhebt sich ein monumentaler Christus aus weißem Marmor, dem das Blut über Hände, Füße, das Gesicht rinnt. Seine Augen, blau und kalt, sind so gestaltet, dass jeder Anwesende das Gefühl haben muss, bis ins Innerste seiner Seele erforscht und durchschaut zu werden.
    Die Vögte und Profose haben sich vorn vor die Ausgänge gesetzt. Peter lässt verstohlen den Blick über die Bänke der Mädchen gleiten. Hübsche und hässliche. Die Älteste dürfte vielleicht siebzehn sein. Er betrachtet ihr verschlossenes Gesicht, ihre knochige Gestalt in einem viel zu weiten Overall. Was ein Mädchen wie sie wohl angestellt hat, um in Redemption zu landen? Sie fingert an ihren Handgelenken und Unterarmen herum, und Peter sieht, dass sie den Schorf von langen Schnittwunden kratzt.
    Die Glasfenster sind von hinten mit Halogenscheinwerfern beleuchtet, die besonders die Rottöne hervorheben. Unter den Fenstern hängen erbauliche Triptychen und fromme Sinnsprüche, manche in Holz geschnitzt, andere als Muschelmosaik auf Porzellanteller geklebt. Wieder andere halten die Einsichten ihrer Urheber in Form von geknetetem Salzteig fest, Rechtschreibfehler inklusive:
    Gott versehrt die Fingernägel der Sünder! (Fletcher, 1979)
    Redemption hat mich von meinen Perfersionen befreit (Cassy 1967)
    Ich bin das Skalpell, das unreines Fleisch aufschlitzt! (Barney 1978)
    Ich masturbire nicht mehr und quähle auch keine Tiere mehr, Redemption sei Dank (Chuck 1981)
    Weiter entfernt hängt, wie von Kinderhand gezeichnet, das Bild eines Hackstocks, zu dessen Füßen abgetrennte Köpfe liegen, und der Text dazu lautet: »Ich bin ein Verbrecher!« Daneben verkündet ein weiteres Salzteigwerk: »Wegen meiner Vergehen wurde mir der nackte Hintern ausgepeitscht. Ehre sei dem Allmächtigen, der den Sündern den Hintern peitscht.«
    Peter stößt Howard an und deutet mit dem Kinn auf die Bekenntnisse an den Wänden. »Mann, Jesus, Howie, siehst du das?«
    »Ja. Wir sind hier in der großen Mangelanstalt von Mississippi. Läuterung der Seelen.«
    »So schlimm ist es?«
    »Ja. Total Scheiße.«
    Zum ersten Mal meint Peter, einen Anflug von Furcht in der Stimme seines neuen Freunds zu hören.
    Das Gemurmel verstummt, als sich eine Tür öffnet. Der Reverend schreitet herein, steigt die Stufen zu dem erhöhten Pult hinauf und lässt den Blick über die versammelte Menge gleiten. Peter erschauert. Esterman hat die gleichen blauen, eiskalten Augen wie der alles

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