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Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption

Titel: Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Sie – man versucht sein Bestes zu geben, aber es ist einfach nie gut genug.«
    »Ist wenigstens nichts Schlimmes passiert?«
    »Weiß ich nicht. Vielleicht. Manchmal hab ich das Gefühl, dass alles rings um mich zusammenbricht.«
    »Wollen wir darüber reden, während die anderen die Tische fertig machen?«
    Wendy betrachtet die Ehrenamtlichen durch ihre Sonnenbrille. Den Damen ist keine Silbe des Gesprächs entgangen – bestimmt schwelen sie jetzt vor Zorn. Sie lächelt und nickt.
39
    Wendy und Pfarrer Bigelow sitzen in seiner kleinen Wohnung gleich neben der Kirche. Mit angewinkelten Beinen, um die sie die Arme geschlungen hat, das Kinn auf den Knien, sitzt die junge Frau auf dem Sofa.
    »Warum tragen Sie diese schwarze Brille auch im Haus, Wendy?«
    »Weil ich in letzter Zeit ständig weinen muss. Aus den lächerlichsten Anlässen noch dazu.«
    »Heute auch?«
    »Ja.«
    Wendy denkt an Abbys Cremeauflauf. Sie kramt eine Zigarette aus ihrer Handtasche hervor und zündet sie nervös an.
    »Wie lang geht das schon so?«
    »Weiß ich nicht mehr. Neulich war’s wegen einer vegetarischen Pizza. Diesmal wegen dem Kaffee. Truman will Arabica, ich hatte Robusta besorgt. Das hat ihn rasend gemacht, und ich war sofort am Heulen.«
    »Sie sollten vielleicht mal zu einem Psychologen gehen.«
    »Damit alle Welt es erfährt und ich die Lachnummer von Abilene bin?«
    »Sie sind ausgelaugt, Wendy. Über ausgelaugte Mitmenschen macht sich niemand lustig.«
    »Sie leben in einer komischen Welt, Hochwürden.«
    Wendy zieht an ihrer Zigarette. Seit Tagen weiß sie genau, warum sie traurig ist, aber sie will es sich nicht eingestehen.
    »Na kommen Sie, Wendy, Sie haben doch wunderbare Kinder, ein hübsches Haus, keine Geldsorgen. Vielleicht kann Ihnen ja ein Eheberater helfen, Ihr Problem in den Griff zu bekommen.«
    Wendy drückt die halb gerauchte Zigarette in einem Aschenbecher aus Blech aus. Dann verharrt sie reglos und starrt ins Leere.
    »Wollen Sie vielleicht beichten?«, fragt Pfarrer Bigelow leise.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich alles satthabe. Truman, mein Leben, die Kinder, die Gemeinde und die Armen, diese ganzen Gottgefälligkeiten. Das nämlich hab ich mit meinem früheren Leben gemacht: Ich hab es mit Tonnen von lächerlichem Zeug zugeschüttet und Plastikblumen drauf gepflanzt.«
    Wendy nimmt sich eine zweite Zigarette. Ihre Hände zittern. Sie versucht, sie anzuzünden, und schafft es nicht. Sie steckt sie ins Päckchen zurück.
    »Letzte Woche hatte ich einen Anruf. Der hat alles wieder aufleben lassen. Bedauern. So viele Erinnerungen. So viel verlorene Zeit.«
    »Wollen Sie darüber reden?«
    »Als ich ein Teenager war, kannte ich einen Jungen namens Peter. Es war eine wunderschöne und auch schwierige Zeit, in der etwas Furchtbares passiert ist. Etwas, das uns alle auseinandergetrieben und unser Leben völlig auf den Kopf gestellt hat.«
    »Hängen Sie noch an ihm?«
    »Ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben.«
    »Das ist schlecht, Wendy, das wissen Sie, oder?«
    »Ja, und genau deshalb will ich ihn wiedersehen. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich nicht den Mut haben werde.«
    »Warum?«
    »Weil ich’s ihm übel nehme, dass er mich vergessen hat. Dass er es fertiggebracht hat, ein Leben ohne mich zu führen.«
    »Sie sind ihm böse wegen der vielen Jahre, die Sie miteinander hätten verbringen können, ja?«
    Wendy nickt.
    »Haben Sie versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen?«
    »Einmal. Vor ein paar Jahren. Das war in einer dieser Phasen, in denen man das Gefühl hat, dass einem alles zwischen den Fingern zerrinnt, und man ist völlig besessen von der Idee, man könnte die Phantome der Jugend noch mal heraufbeschwören. Die Rotschöpfe und Leberflecken von den Klassenfotos. Die kleinen Miststücke, die einen im Pausenhof an den Haaren gezogen haben. Sogar die Klassenbesten. Kennen Sie das? Dieses unbändige Bedürfnis, sie alle wiederzusehen, weil man wissen muss, ob es für die anderen gut läuft, oder ob es ihnen genauso schlecht geht wie einem selber?«
    »Haben Sie ihn angerufen?«
    »Ich bin zufällig auf einen Pressebericht gestoßen, ein Porträt von ihm. Er ist jetzt prominent, ein Staranwalt an der Westküste. In dem Bericht hieß es auch, dass er einen Schlaganfall hatte und seitdem keine Erinnerung an sein früheres Leben. Ich war wirklich in San Francisco. Als ich ankam, ging ich direkt in das Luxusrestaurant, in dem er angeblich verkehrt, wie in dem Bericht stand, und er war tatsächlich

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