Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
träumt. Das tun sie jeden Abend, um die Gefangenschaft zu überstehen: Bevor sie sich trennen müssen, einigen sie sich auf Landschaften und Gerüche und skizzieren das Traumszenario ihrer Nacht. Diesmal haben sie vereinbart, einander am Ufer des Mississippi zu treffen, nicht weit von dem Brombeergestrüpp, vor dem sie der Hilfssheriff Brunswick verhaftet hat.
Peter trifft zuerst ein. Er setzt sich ans Ufer und wartet auf Wendy. Je tiefer er in seinen Traum eindringt, desto deutlicher werden die Konturen der Landschaft. Zum Zeitvertreib kehrt er die Fließrichtung des Mississippi um. Er setzt noch ein paar Wolken an den Himmel und lässt es nach Regen riechen, fügt hier und dort ein Vogelgezwitscher hinzu. Er seufzt. Hinter ihm knackt es im Geäst. Er wittert ein Parfum. Peter dreht sich um und beißt sich auf die Lippen, um bei Wendys Anblick nicht in Gelächter auszubrechen: Sie steht in einem bodenlangen Brautkleid vor ihm.
»Was ist das denn? Ein Heiratsantrag?«
Wendy errötet bis zu den Ohren, dann verschwindet sie kurz und kehrt in Shorts und ihrem alten, ärmellosen T-Shirt zurück. Sie setzt sich neben Peter und hängt die Füße ins Wasser.
»Soll ich zu unserem nächsten Treffen in Südstaatleruniform kommen?«
»Ja, schon gut, Peter. Kann man denn nicht ein bisschen träumen?«
»Tun wir das nicht gerade?«
»Doch, aber ich darf dich darauf aufmerksam machen, dass wir uns immer nur in deinen Träumen treffen, nie in meinen.«
»Scheiße, Baby, das hab ich dir doch schon erklärt: In Sachen Romantik bin ich ein hoffnungsloser Fall.«
»Aber so schwierig ist es auch wieder nicht.«
Wendys Füße plätschern im Wasser. Sie hat die Augen geschlossen. Peter sieht, wie das dahinströmende Wasser sich bonbonrosa einfärbt.
»Wendy?«
»Ja?«
»Woher kommt denn dieses rosarote Wasser?«
Wendy schlägt die Augen auf, das Wasser wird wieder blaugrau. Peter küsst sie auf den Hals. »Willst du mich heiraten?«, fragt er.
»Meinst du das ernst?«
»Ja.«
»Dann musst du mich im wachen Leben auch noch mal fragen, nicht nur im Traum!«
Wendy ist sauer. Das sieht man an ihrer Blässe und den zusammengekniffenen Lippen. Peters Mundwinkel heben sich. Er lässt seine Hände über ihre Schultern und Brüste spazieren. Wendy seufzt. »Du hast das nur gefragt, um mich rumzukriegen.«
»Nein! Das stimmt nicht, ich schwör’s!«
»Wenn es nicht stimmt, nimm sofort deine Dreckspfoten von mir.«
»Wendy, du weißt doch, wie’s mit den Träumen so ist: Wenn’s am schönsten ist, wacht man auf. Also schlag ich dir vor, dass wir erst miteinander schlafen und später debattieren, okay?«
»Ja, und dann wachen wir genau dann auf, wenn wir eigentlich mit dem Reden anfangen sollten!«
»Je mehr wir darüber debattieren, desto größer ist die Gefahr, dass genau das passiert.«
»Du bist so bescheuert, Peter!«
Ein kühler Wind kommt auf, Böen fegen durch die Luft, und die Wolken sind dunkelgrau geworden. Peter konzentriert sich, um wieder mehr Blau an den Himmel zu zaubern, aber es gelingt nicht. Wendy starrt zum anderen Ufer hinüber. Sie wirkt bedrückt. Peter legt ihr einen Arm um die Schulter.
»Was ist los?«
»Los ist, dass alles sowieso nur ein Traum ist und wir immer noch in Redemption sind.«
»Morgen«, murmelt ihr Peter ins Ohr, »frag ich dich, ob wir im Traum heiraten, solang es in echt noch nicht geht.«
»Und ich darf die Zeremonie bestimmen?«
»Alles. Du schmückst es aus, wie du willst, ich tue nichts dazu. Außer, dass ich es wahnsinnig gern am Mississippiufer machen und unsere Kinder gern auf diesen wilden Inselchen aufziehen würde.«
»Also wirklich, Peter, kannst du dir vorstellen, wie ich auf einer Insel voller Dornenranken und Gestrüpp unsere Kinder versorge, während du Fische fängst, die nach Schlamm stinken? Nein, ich möchte eine Hochzeit wie früher. Mit einem weiß gestrichenen Pavillon und großen Tischen voller Blumen und einer Kapelle.«
»Okay, und ich kümmere mich um die Hochzeitsnacht.«
»Du bist schon wieder bescheuert!«
»Wendy, wenn du es willst, dann will ich es auch. Du musst mir die Sache nur ein bisschen beschreiben, damit ich beim nächsten Einschlafen nicht abstürze.«
Seit ein paar Sekunden ist der Himmel wieder blau, und die Vögel zwitschern. Wendy streckt den Arm aus und lässt am anderen Ufer ihren nächsten Traum auftauchen. Peters Augen werden weit.
»Scheiße – sogar Reiter?«
»Das sind nicht einfach Reiter, das ist eine Truppe
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