Sünden der Nacht
zu erledigen gewesen und ein Treffen mit dem Bezirksstaatsanwalt. Er hatte sein Team aussuchen müssen, Ausrüstung organisieren und Überwachungsposten bestimmen. Und inmitten von all dem war ihm sein ein und alles entgangen.
»Tut mir leid, Schätzchen«, entschuldigte er sich. »Nein, ich schaff es heute abend nicht. Du wirst bei Oma und Opa bleiben müssen. Es ist wirklich wichtig, daß ich heute abend arbeite.«
»D-das s-sagst du immer!« jammerte Jessie. »Ich mag es nicht, wenn du ein Cop bist!«
»Bitte sag das nicht, meine Süße.« Klang diese Beschwerde in Megans Ohren genauso jammervoll wie in seinen? Er haßte es, Jessie zu enttäuschen. Er haßte es noch mehr, wenn sie seinem Job die Schuld daran gab, weil das die Erinnerung an Allison zurückbrachte und die Streitereien mit ihr, und ihre Bitten, die ständig auf taube Ohren gestoßen waren. Schuldgefühle schnürten ihm wie ein saurer Kloß die Kehle zu. »Ich verspreche, daß wir bald wieder einen Abend zusammen haben, Schätzchen. Das hier ist wirklich wichtig. Ich versuche Josh zu finden, damit er wieder bei seiner Mom und seinem Dad sein kann. Weißt du, er hat sie fast eine Woche nicht mehr gesehen.«
Die Leitung blieb einige Zeit stumm, während Jessie sich das durch den Kopf gehen ließ. »Oh, dann muß er ja alles alleine machen«, sagte sie leise. »Er ist sicher traurig, so wie ich, Daddy.« Sie klang viel zu alt für eine Fünfjährige, viel zu desillusioniert für ein kleines Mädchen. »Ich möchte auch bei dir sein, Baby«, flüsterte er.
Joy kam jetzt ans Telefon, ihre Stimme klang wie ein Rasiermesser in seinem Ohr. »Tut mir leid, daß wir dich belästigt haben, Mitch«, sagte sie bissig. »Jessie war so aufgeregt, daß wir sie nicht beruhigen konnten. Ich hab ihr gesagt, sie soll nicht mit dir rechnen …«
»Hör mal, Joy.« Mitch zwang sich, seinen Zorn zu unterdrücken, das war weder die Zeit noch der Ort. »Ich steck hier mitten in einer Sache und muß die Leitung offenhalten. Tut mir leid, daß ich vergessen habe, dich anzurufen. Hoffentlich macht es nicht zuviel Umstände, wenn Jessie heute nacht bei euch bleibt. Und darüber, ob Jessie mit mir rechnen kann oder nicht, werden wir ein andermal diskutieren.
Er unterbrach die Verbindung, bevor sie Gelegenheit hatte, mit der Zunge zu schnalzen. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie vor ihrem Panoramafenster auf und ab lief – Ich frage mich, wo dein Daddy bleibt … Komisch, daß er nicht angerufen hat … bis Jessie ganz aus dem Häuschen war. Warum, zum Teufel, war er ausgerechnet hierhergezogen, nachdem Allison und Kyle umgebracht worden waren?
Um sich zu bestrafen, weil er noch lebte.
Megan blieb schweigend an der Wand stehen und beobachtete ihn durch gesenkte Wimpern. Der Anruf hätte privat bleiben sollen, aber sie konnte seinen Schmerz nicht einfach ignorieren.
»Mein alter Herr hat zwei Schichten hintereinander gearbeitet, damit er keine Zeit mit mir verbringen mußte«, sagte sie. »Er hat kein einziges Mal gesagt, er möchte bei mir sein.«
Mitch hob den Kopf und sah sie an. Mondlicht drang durch die Spitzenvorhänge herein und beleuchtete ihr Gesicht. Die Verletzlichkeit darin, die sie sonst so sorgsam mit Stolz kaschierte, war ihr intimstes Geschenk an ihn.
»Jessie hat wirklich Glück mit dir.«
Nogas Stimme ertönte aus dem Walkie-Talkie, und der Augenblick zerbarst wie Glas. »Chief! Er geht gerade zur Seitentür raus – zu Fuß in Ihre Richtung! Out.«
Mitch packte das Funkgerät. »Roger, Noggie. Alle Einheiten – er bewegt sich zu Fuß auf das Haus zu. Haltet euch bereit.«
Megan kauerte sich vors Fenster. Es war unmöglich, den Weg zu sehen, den Olie zwischen der Eishalle und seiner umgebauten Garage getrampelt hatte; aber er mußte sie seitlich umrunden, wenn er reinwollte. Sie starrte die Ecke des kleinen Häuschens an, bis ihre Augen brannten und ihre Lunge vom Atemanhalten schmerzte. Schließlich erschien Olie mit einem Rucksack, den er an einem Riemen in der Hand hielt. Er fummelte an seinem Schlüsselbund, ließ ihn fallen und bückte sich, um ihn aufzuheben. Als er sich aufrichtete, fuhr der TV- 7-Fernsehwagen in der Straße vor.
»Nein!« schrie Megan und sprang auf.
»Scheiße!« Mitch warf seinen Stuhl um, als er das Walkie-Talkie packte und zur Treppe losrannte.
Sie stürmte zur Haustür hinaus in die bitterkalte Nacht, einer hinter dem anderen. Mitch rannte voran, das Funkgerät vor dem Gesicht.
»Sie haben uns die Tour
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