Sünden der Vergangenheit - McKenna, S: Sünden der Vergangenheit
ganzen Schwadrons Spezialagenten durch die Gegend zu fahren.
Er wusste nicht, wie er mit seiner Angst umgehen sollte. Gewöhnlich stellte er sich einer Gefahr mit dem Stoizismus eines Mannes, der den Tod nicht wirklich fürchtete. Aber er hatte Angst um Liv, machte sich vor Panik fast in die Hose.
Er war nervös wie ein Tiger im Käfig. Alle paar Sekunden sah er in den Rückspiegel und hielt am Himmel nach Hubschraubern Ausschau. Dies war die Kehrseite der Medaille, wenn man sich den Luxus gönnte, auf alles zu pfeifen. Es vernebelte einem das Hirn, machte einen dumm, schwerfällig und nutzlos.
»Es ist nicht sicher«, stellte er fest. »Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich könnte uns dadurch beide umbringen.«
Sie streckte den Arm aus und streichelte seinen Oberschenkel. »An deiner Seite fühle ich mich so sicher wie in Abrahams Schoß.«
Seine Kehle wurde heiß und hart wie eine Faust. »Bitte, sag das nicht«, presste er mit Mühe hervor. »Übertrag mir nicht die Verantwortung.«
»Es tut mir leid, wenn es dich nervös macht, aber wir sind gemeinsam in diese Sache hineingeraten, und wir müssen sie gemeinsam aufklären.«
Er unterband eine Fortsetzung ihrer geistig anregenden Belehrung, indem er ihr Connors E-Mail auf den Schoß warf. »Lies mir die Richtungsangaben vor.«
»Warum sollte ich, Mr Fotografisches Gedächtnis?«
»Du wolltest dich nützlich machen. Sei nützlich«, brummte er.
Sie hielten vor einem verwahrlost aussehenden Lebensmittelgeschäft. Sean parkte den Wagen, stieg aus und drehte sich langsam um die eigene Achse. Er nahm Liv bei der Hand und zog sie in Richtung Laden. Er wollte nicht, dass sie hier draußen herumstand – auch wenn man sie mit dieser blonden Perücke nicht wiedererkennen würde. Trotzdem.
Ein pickeliger Jugendlicher stand hinter der Theke. Sean lächelte den Jungen freundlich an. »Ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Trung.«
Der Junge sah ihn reglos aus großen Augen an, dann huschte er aus dem Raum.
Diese Sache war nervenaufreibend. Sean legte Liv einen Arm um die Taille, während sie warteten. Sie war so weich und warm und lebendig, dass es ihm die Brust zuschnürte. Ihre Nähe verursachte ihm ein Pochen in den Lenden. Trotz seiner Anspannung. Trotz der Tatsache, dass sie sich die ganze Nacht geliebt hatten. Er bekam nicht genug von ihr. Er verzehrte sich nach dieser sinnlichen Traumwelt, in der sie versanken, wenn sie miteinander schliefen. Er könnte für immer mit ihr in dieser Welt leben.
Ein Vietnamese mittleren Alters betrat den Raum, gefolgt von einer Frau in den Vierzigern. Sie starrten Sean und Liv an, als wären sie Giftschlangen.
Die Frau sprach so mechanisch, als hätte sie die Worte einstudiert. »Ich bin Helen Trung. Dies ist mein Ehemann John. Mein Vater ist nicht hier. Er ist vor sechs Monaten nach Vietnam zurückgekehrt. Er wird nicht wiederkommen.«
Sean musterte die ausdruckslosen Gesichter des Paares, verstärkte seinen Griff um Livs Taille und folgte seinem ersten Impuls. »Vor fünfzehn Jahren wurde Mr Trung meines Wissens von gewissen Leuten bedroht«, setzte er an. »Dieselben Leute haben meinen Bruder ermordet, und jetzt bedrohen sie nicht nur mich, sondern auch sie.« Er nickte zu Liv. »Ich will sie finden.«
Der Mann und die Frau sahen sich an, dann richtete Helen Trung den Blick wieder auf Sean. »Mein Vater ist fort. Er kommt nicht zurück«, wiederholte sie.
Sean wartete und ließ das Schweigen für sich sprechen.
Die Frau begann hektisch auf Vietnamesisch zu lamentieren. Sean stöberte in seiner Erinnerung nach Rudimenten der Sprache, die der verrückte Eamon ihm und seinen Brüdern eingehämmert hatte – eine Sprache, die sein Vater während seiner vier Einsätze in jenem Krieg, der ihn den Verstand gekostet hatte, gelernt hatte.
»Bitte helfen Sie uns, falls Sie etwas über diese Männer wissen«, sagte er in gebrochenem Vietnamesisch. »Sie trachten meiner Ehefrau nach dem Leben. Wir werden Ihre Familie nicht in Gefahr bringen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
Das Paar sah ihn mit geweiteten Augen an. Er war selbst überrascht über den Impuls, der ihn dazu gebracht hatte, Liv als seine Frau zu bezeichnen. »Freundin« klang zu oberflächlich. Abgesehen davon kannte er den entsprechenden vietnamesischen Ausdruck nicht. Er hatte die Sprache seit seinem zwölften Lebensjahr, als sein Vater gestorben war, nicht mehr benutzt, und das Wort Freundin hatte damals in keiner Sprache zu seinem aktiven Vokabular
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