Sünden der Vergangenheit - McKenna, S: Sünden der Vergangenheit
den Sinn gekommen ist?« Die Stimme ihrer Mutter klang mitleidig. »Dass wir deinen Stalker längst identifiziert haben? Liv, Liebes, wach endlich auf.«
Sie war derart verblüfft, dass ihr ein Lachen entschlüpfte, das gleich darauf in einen würgenden Husten überging. »Ihr glaubt, dass Sean der Stalker ist?«, keuchte sie schließlich. »Aber das ist vollkommen lächerlich.«
Blairs Gesicht verhärtete sich zu dieser selbstgefälligen, voreingenommenen Maske, die sie stets abgeschreckt hatte, wann immer sie in Gefahr geraten war, einer Verlobung mit ihm zuzustimmen.
»Die Fakten sprechen für sich«, sagte er steif. »Sein Vater war ernsthaft geisteskrank. McCloud ist für den Umgang mit Sprengstoff ausgebildet. Er hat sich als Söldner verdingt. Sein Zwillingsbruder hat Selbstmord begangen. Er ist psychisch labil. Ich bin mit ihm zur Schule gegangen, Liv. Ich weiß, wozu er fähig ist. In der sechsten Klasse hat er in der Lehrertoilette eine Bombe hochgehen lassen. Er hat keine Ahnung von zivilisiertem Benehmen. Ständig hat er sich geprügelt und die Klappe aufgerissen. Die Lehrer wussten nicht mehr ein noch aus.«
»Äh, Blair? Nur ein kleiner Einwurf. Er war damals zwölf.« Sie konnte die Ironie nicht aus ihrer Stimme heraushalten, obwohl sie wusste, dass sie dafür büßen würde.
Wie aufs Stichwort stieß ihre Mutter ein frustriertes Schnauben aus. »Jetzt geht das schon wieder los. Wieder ergreifst du Partei für ihn, genau wie früher. Du lernst wirklich nie dazu.«
»Jetzt bleibt mal bitte alle ein bisschen realistisch«, sagte Liv und sah sie der Reihe nach an. »Sean McCloud hat mir heute das Leben gerettet. Deins im Übrigen auch, Blair.«
Ihr Vater beugte sich ächzend vorüber und presste die Hand auf sein Herz. Amelia eilte unverzüglich zu ihm und gab ängstliche, besorgte Laute von sich.
Liv hatte dieses Melodrama schon zu oft mit angesehen, darum wandte sie sich wieder Blair zu. »Ich kann nicht glauben, dass Sean mir so etwas antun würde.«
»Natürlich nicht«, meinte Blair. »Du denkst immer nur das Beste von den Menschen. Im Normalfall ist das überaus lobenswert, nur ist dies kein normaler Fall. Sean McCloud ist seltsam. Seine Familie ist seltsam. Was dir widerfahren ist, ist seltsam. Erkennst du nicht, wie sich diese Seltsamkeiten gleich einem Puzzle zusammensetzen lassen?«
Nein. Ganz und gar nicht. Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe deine Logik nicht, Blair. Wieso hat er uns dann davon abgehalten, in den Wagen zu steigen?«
»Weil er dich beeindrucken wollte. Er wollte den Ruhm einheimsen, dich gerettet zu haben. Er hat das Ganze inszeniert, damit du dich verletzlich fühlst. Erkennst du das denn nicht? Es ist doch offensichtlich.«
Es hatte keinen Sinn, Blair mit der Wahrheit zu konfrontieren, solange er diesen Gesichtsausdruck hatte. Sean McCloud hatte es nicht nötig, sich vor eine Bombe zu werfen, um sie zu beeindrucken. Dafür musste er nichts weiter tun, als mit dem Finger zu schnippen und zu lächeln.
Und selbst das war kaum nötig. Es brauchte nicht mehr als die Gegenwart seines charismatischen Selbst, damit die Frauen wie die Fliegen umfielen. Wobei sie die Erste wäre, die auf dem Boden aufschlüge.
Wer immer T-Rex war, seine Seele war tot und verrottet. In ihrem unlängst absolvierten Intensivkurs über Brandstifter, Attentäter, Serienmörder und Vergewaltiger hatte sie gelernt, dass sie in der Regel Einzelgänger und Versager waren, Männer ohne besondere Fähigkeiten oder Sozialkompetenz, denen die Interaktion mit Frauen schwerfiel.
Sean bereitete es keine Schwierigkeiten, Frauen anzusprechen. Nein, er musste sie praktisch abwehren, um Luft zu bekommen. Das Gleiche galt für seine besonderen Fähigkeiten. Der Mann hatte die Gabe, Liv während eines einzigen Telefonats mehrfach zum Orgasmus zu bringen. Und so seltsam er auch sein mochte, all das zeugte von Lebendigkeit und nicht von einer abgestorbenen Seele.
Doch da sie keine dieser Betrachtungen den Anwesenden verständlich machen konnte, wechselte sie das Thema. »Warum hat mir nie jemand gesagt, dass Kevin McCloud Selbstmord begangen hat?«
Blair und ihre Eltern tauschten nervöse Blicke.
»Es schien nicht relevant, Liebes«, erwiderte ihre Mutter.
Liv starrte sie fassungslos an. »Er war mein Freund«, sagte sie leise.
»Und was für ein Freund«, spottete Amelia. »Er war gestört, wahrscheinlich sogar gefährlich. Es ist tragisch, dass er nicht rechtzeitig Hilfe bekam, und es tut mir sehr
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