Sünden der Vergangenheit - McKenna, S: Sünden der Vergangenheit
leid für die Familie, aber meine erste Sorge galt nun mal dir, mein Schatz, und nicht ihm. Du musstest einen klaren Schlussstrich ziehen, und dir traurige Geschichten über diese unglückseligen McCloud-Brüder zu erzählen, hätte die Dinge nur verkompliziert und dich in Verwirrung gestürzt.«
Liv flocht die Finger ineinander. Ihre Hände waren feuchtkalt und weiß unter dem Ruß. In ihren Augen brannten Tränen. Vielleicht hatte ihre Mutter recht gehabt, aber das machte es nicht leichter.
Als sie Kevin McCloud das letzte Mal gesehen hatte, hatte er schweißüberströmt und mit wildem Blick von Leuten gefaselt, die ihn angeblich umbringen wollten. Damals hatte sie nicht gewusst, dass er mental gestört war. Er hatte sie zu Tode geängstigt, als er diese codierte Nachricht gekritzelt, ihr sein Skizzenbuch in die Hand gedrückt und von ihr verlangt hatte, es zu Sean zu bringen und anschließend zu flüchten, denn sonst würden sie Liv ebenfalls töten.
Und sie war geflüchtet. Sean war verdammt überzeugend gewesen.
Der arme Kevin. Er war so süß gewesen, so lustig und klug. Sean war unglaublich stolz auf die Intelligenz und die Leistungen seines Bruders gewesen.
Es brach ihr das Herz. Und da sie nun schon über ihr gebrochenes Herz nachdachte: Es war derselbe Tag gewesen, an dem auch dieses entsetzliche fünfminütige Gespräch mit Sean im Gefängnis stattgefunden hatte. Diese fünf Minuten, die ihr die Unschuld geraubt und ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatten.
Sie betrachtete ihre Hände, als sie zum ersten Mal realisierte, wie schlimm sie nach Rauch stank. Mit wackeligen Knien stand sie auf. »Ich werde jetzt duschen gehen.«
»Eine hervorragende Idee«, kommentierte Amelia. »Entspann dich ein wenig. Wir werden uns um alles kümmern. Soll ich dir von Pamela ein Sandwich nach oben bringen lassen?«
Bei dem Gedanken an Essen krampfte sich ihr Magen unangenehm zusammen.
»Nein, danke«, sagte sie. »Gute Nacht.«
Liv schleppte sich die Treppe hinauf und in ihr Schlafzimmer. Sie taumelte fast, gleichzeitig brodelte eine kribbelnde Aufregung unter ihrer erschöpften Fassade.
Weil Sean mit ihr geflirtet hatte? Ach, bitte. Er flirtete mit jeder Frau, die seinen Weg kreuzte. So war er nun mal programmiert. Es war nichts Persönliches.
Trotzdem machte es so viel mehr Spaß, an Sean zu denken statt an die Hölle ihres Familienlebens oder an die Ruinen ihres Buchladens. Oder an T-Rex, der irgendwo dort draußen lauerte und an sie dachte.
Sie erschauderte. T-Rex’ Aufmerksamkeit war wie ein stinkender Giftmüllsee, der gegen ihr Bewusstsein schwappte. Das Einzige, was dagegen half, war die törichte Vorstellung, dass Sean McCloud ebenfalls an sie dachte. Das brachte die Waage ins Lot. Zumindest so weit, dass sie atmen konnte.
Natürlich war es nur Einbildung. Sean machte sich nichts aus ihr, das wusste sie. Und wenn schon? Solange der Trick funktionierte, würde sie darauf zurückgreifen.
Als sie in ihr dunkles Zimmer tapste, stolperte sie über ihren Koffer, trotzdem zögerte sie, die Nachttischlampe anzuknipsen. Sie wollte nicht, dass irgendeine bösartige Präsenz dort draußen wusste, dass jemand im Zimmer war. Also schaltete sie das Licht im angrenzenden Bad an, das fensterlos war, und ließ die Tür einen Spalt offen. Ein schmaler Lichtstreifen war genug.
Liv kauerte sich aufs Bett, beugte sich vornüber und vergrub das Gesicht in ihrer hässlichen, schlabberigen Pyjamahose. Wie furchtbar armselig, dass sie dieser Obsession nicht endlich entwachsen war. Nach unzähligen Psychotherapiesitzungen waren sie und ihre Psychologin übereingekommen, dass sie sich dringend der Kontrolle durch ihre Familie widersetzen musste. Gut und schön. Offensichtlich musste sie sich immer noch weiter widersetzen.
Welch bessere Methode, um sich von all dem Mist abzulenken, konnte es geben, als an den Mann ihrer Träume zu denken, mit seinem fantastischen Körper, seinen warmen Lippen und geschickten Händen? Seht nur, wie Liv die Vergangenheit, jeden Stolz, ja, sogar ihren gottverdammten Namen vergisst.
Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Ihre Beziehung hatte nur einen Monat angedauert. Sie hatten noch nicht mal miteinander geschlafen. Dafür hatte er sie am Telefon in heiße, verschwitzte, fiebrige Erregung versetzt, indem er ihr ausmalte, wie es sein würde, wenn sie es schließlich taten. Was er mit seinen Händen, seiner Zunge anstellen würde, und mit seinen restlichen männlichen
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