Suenden der Vergangenheit
Zeit ließ, würde der Junge vielleicht sogar spüren können, wie er gefressen wurde.
Das wäre schön.
Sein rechter Fuß war in der granitenen Bordkante versunken, eins mit ihr geworden. Jetzt zog ihn Grayhewn wieder heraus und ging langsam über den Bürgersteig. Ein Windstoß pfiff über den Rasen, unerwartet und kühl, und Grayhewn blieb stehen. Irgendetwas an diesem Wind war merkwürdig, die Art, wie er sein felsiges Fleisch umschmeichelte, wie er ihn mit neuer Kraft erfüllte.
Es war ein Wind des Bösen.
»Hallo, Dämon«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Grayhewn fuhr herum, verblüfft, dass er überrumpelt worden war. Denn die Stimme flüsterte direkt an seiner Schulter, eine Stimme, angenehm und gleichzeitig von einer derart wilden Grausamkeit erfüllt, dass sie auf das Gesicht des Steindämonen das erste Lächeln zauberte, seit seine Gefährtin getötet worden war.
Das Wesen hinter ihm war ein Fremder. Ein Vampir. Seine gelben Raubtieraugen leuchteten in der Dunkelheit und sein Grinsen entblößte die längsten Vampirzähne, die er je bei einer derartigen Kreatur gesehen hatte. Die Gestalt trug einen dunklen Anzug, wie man ihn häufig auf menschlichen Beerdigungen sah. Er war groß und schlank, sein braunes Haar war schütter und von grauen Strähnen durchzogen, aber nichts an ihm verriet auch nur die geringste Schwäche.
»Guten Abend, Vampir«, antwortete Grayhewn.
Er war immer der Meinung gewesen, dass Höflichkeit mit Höflichkeit vergolten werden sollte.
»Sie wird dich töten«, sagte der Vampir. »Die Jägerin, meine ich. Du bist ein wilder Geselle, und du bist mächtig, das steht fest. Aber ich habe dieses Mädchen kämpfen gesehen, und sie kämpft gut. Du wirst Freunde brauchen, alter Mann.«
Grayhewn runzelte die Stirn und musterte den Fremden voll tiefem Misstrauen.
»Freunde wie dich?«, fragte der Dämon.
»In der Tat«, nickte der Vampir. »Deine Beute steht unter ihrem Schutz. Allein kannst du sie nicht bezwingen. Aber gemeinsam... nun, vielleicht können wir uns gegenseitig von Nutzen sein.«
»Du willst die Jägerin also tot sehen?«, fragte Grayhewn. »Und du brauchst meine Hilfe.«
»Oh, nein«, erwiderte der Vampir. »Ich habe kein Interesse an der Jägerin. Und nicht der Tod ist mein Ziel. Sondern Schmerz. Leid.«
Grayhewn streckte seine Hand aus. Der Fremde ergriff und schüttelte sie.
»Also schließen wir ein Bündnis«, erklärte Grayhewn. »Gefallen gegen Gefallen.«
»Braver Junge.«
4
Buffy saß am Küchentisch, trank ein großes Glas dickflüssigen Orangensaft und löffelte die letzten Cheerios aus ihrer Müslischüssel, als ihre Mutter hereinkam. Joyce war in ihrer üblichen Morgenstimmung - aufgekratzt wie eine Horde schnatternder Affen -, und Buffy lächelte, während ihre Mom durch die Küche wirbelte.
»Du siehst gut aus«, sagte sie zu ihrer Mutter.
Joyce blickte an sich hinunter, als wollte sie sich vergewissern, was sie trug. Dann lächelte sie und sah wieder ihre Tochter an. »Danke, Schätzchen. Ich mag das Kostüm sehr, und ich habe es seit Monaten nicht mehr getragen. Ich weiß nicht einmal, warum nicht.«
Buffy schnitt eine Grimasse. »Vielleicht wegen dem Fleck am Rock. Rechte Hüfte.«
Joyce blickte entsetzt nach unten, fluchte herzhaft und marschierte dann aus der Küche. »Ich ziehe mich um«, sagte sie.
Buffy schüttelte liebevoll den Kopf. Wochentags war Joyce fast immer hektisch. Heute war da keine Ausnahme. Sie hatte Buffy angeboten, sie zur Schule zu fahren, und anschließend erwartete sie ein arbeitsreicher Tag in der Galerie; unter anderem stand ein Mittagessen mit einem Antiquitätenhändler aus Paris auf ihrem Terminplan. Aber irgendwie schaffte sie immer ihr Programm. Das war früher schon so gewesen. Okay, hin und wieder hatte sie ein kleines Zwischentief gehabt, bedingt durch die Scheidung, ihr Dasein als allein erziehende Mutter oder die Entdeckung, dass ihre Tochter der Champion aller atmenden Wesen war. Aber es war trotzdem ein Wunder, dass sie alles so bravourös gemeistert hatte. Nur eine sehr starke Frau konnte solche Prüfungen bestehen, ohne zu zerbrechen.
Buffy hatte Probleme mit ihrem Vater. Sie wusste das. Und ihr war klar, dass ihre generelle Ablehnung jeglicher Autorität zum Teil eine Folge der Scheidung war. Oder weniger eine Folge der Scheidung als der Tatsache, dass Hank Summers seitdem die Rolle des abwesenden Vaters spielte.
In Giles’ Fall lagen die Dinge etwas anders. Er war der Wächter, was bedeutete,
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