Sündenfall: Roman (German Edition)
Hünen zu achten.
»Wie weit ist das Postfach des Sicherheitsdienstes schätzungsweise von der Rezeption entfernt?«
»Vier oder fünf Meter?«
»Es sind genau ein Meter fünfzig!«, verkündete sie in einem Tonfall, als habe sie gerade eine große Entdeckung gemacht. »Ich habe es nachgemessen.«
Bacon gab ein Geräusch von sich, das eine Mischung zwischen Seufzen und Knurren war – so als könne er es kaum erwarten, dass Schluss mit dem Gerede war, um endlich den Gummiknüppel zu zücken.
»Meinen Berechnungen zufolge haben Sie mehr als fünfhundertmal an der Rezeption gesessen, während Milo oder Derek mit ihren Kuverts an Ihnen vorbei und zum Postfach des Sicherheitsdiensts spaziert sind«, stellte sie fest und betrachtete ihn zweifelnd. »Und Sie wollen nie etwas davon bemerkt haben? Leiden Sie womöglich an einer Sehbehinderung , Alex?«
Er schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment huschte ein verschlagener Ausdruck über sein Gesicht. »Es könnte einen Grund dafür geben«, sagte er, wieder mit wichtigtuerischer Miene. »Das Postfach ist nämlich hinter mir.« Er wies über seine Schulter. »Außerdem habe ich um diese Zeit immer sehr viel mit Gästen zu tun, die auschecken wollen.«
Erwischt, Blödmann! »Und welche Uhrzeit wäre das genau, Alex?«, erkundigte sich Kershaw. Er öffnete den Mund, stellte fest, dass er sich gerade selbst ein Grab geschaufelt hatte, und klappte ihn wieder zu.
»Also ist es Ihnen doch aufgefallen, dass Milo und Derek um sechs Uhr morgens zum Postfach gehen«, verkündete sie. »Soll ich Ihnen also wirklich glauben, dass Sie nie mitgekriegt haben, was sie da tun? Haben Sie sie denn nie gefragt, was das mit den Luftpolsterkuverts soll?« Sie hörte, dass Bacon abfällig schnaubte. »Und in dreieinhalb Jahren waren Sie kein einziges Mal versucht nachzuschauen, was drin ist?« Ihr Tonfall triefte vor Sarkasmus. Alex zuckte nur die Achseln.
Sie lehnte sich wieder zurück und zog ihre Notizen zu Rate. Dabei wechselte sie aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick mit Bacon: Ja, ja, ich weiß: Ich muss ihn bei einer nachweislichen Lüge ertappen .
»Verraten Sie mir eines, Alex, haben Sie je die Sicherheitszentrale betreten?«
»Äh, ja … hin und wieder. Im Rahmen meiner Managementausbildung muss ich mich mit allen Bereichen des Hauses vertraut machen.«
»Eine Durchsuchung des Aktenschrankes mit den Überwachungsbändern gehört doch wohl nicht dazu?«
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete er mit einem nachdrücklichen Kopfschütteln.
Mein Gott, war der vielleicht schwer von Begriff.
»Denn, wissen Sie, wenn wir den Schrank und die Bänder auf Spuren testen lassen und Sie sie angefasst haben, werden wir Ihre Fingerabdrücke im ganzen Raum finden.«
Beim Wort »Fingerabdrücke« erstarrten seine Züge für einen Moment und entgleisten dann wie bei einem Kind, das gerade beim Eierlauf verloren hat.
»Es ist eine Tatsache, Alex, dass jemand an diesem Schrank war, um einige Videokassetten zu stehlen. Und zwar nicht irgendwelche, sondern die, auf denen zu sehen ist, wie das Mädchen vor ihrer Ermordung mit dem Verdächtigen hinauf zum Zimmer fährt.« Sie hielt kurz inne. »Falls wir also Fingerabdrücke auf diesem Schrank entdecken, die da nicht hingehören, werden wir davon ausgehen, dass sie von dem Mann stammen, der das Opfer gefesselt, vergewaltigt und umgebracht hat.« Gut, der letzte Teil war frei erfunden, doch da Alex plötzlich erbleichte und ihm der Schweiß ausbrach, hatte es offenbar gewirkt.
Kershaw spürte, dass der Puls an ihrem Hals pochte wie verrückt. Obwohl sie Alex keine Nanosekunde in Verdacht hatte, lag es auf der Hand, dass der kleine Mistkerl ihr etwas verschwieg. Sie warf einen Blick auf ihre Notizen, um ihm Zeit zu geben, das Ausmaß der Zwickmühle zu erfassen, in die er sich selbst hineinmanövriert hatte. Die Bänder waren sein einziger Beweis dafür, dass er nicht mit dem Mädchen im Aufzug gewesen war – doch das hieß, dass er keine andere Wahl hatte, als den Diebstahl zuzugeben.
Sie beugte sich vor und stützte die locker ineinander verschränkten Hände auf den Tisch. »Hören Sie, Alex«, meinte sie in leicht kumpelhaftem Ton. »Sie machen auf mich nicht den Eindruck eines Menschen, der häufig mit dem Gesetz in Konflikt gerät« – er nickte eifrig –, »deshalb frage ich mich, ob Sie möglicherweise von jemandem dazu angestiftet worden sind, ohne dass Sie die leiseste Ahnung hatten, worauf Sie sich da einlassen.«
Alex’ Augen
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