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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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Läuten der Kirchenglocken geweckt, die die Gläubigen zur Morgenmesse riefen. Da-dong-da-da-dong-ting … Da-dong-da-da-dong-ting … der letzte blecherne Ton war ein eindeutiges Zeichen für einen Riss in der Glocke.
    Er teilte seiner Wirtin mit, er werde das Frühstück ausfallen lassen, und bat sie um die Wegbeschreibung nach Kosyk, das Dorf auf der anderen Seite des Sees, wo Witold Struk gewohnt hatte. Nachdem er sich in einer Bäckerei ein Apfelteilchen gekauft hatte, setzte er sich auf der von der Sonne beschienenen Seite des Platzes auf eine Bank, um es zu verspeisen. Drei zankende Kinder kamen vorbei. Nach ihren dunkelblauen Uniformen und den unwillig schlurfenden Schritten zu urteilen, waren sie auf dem Weg zur Schule. Sie sahen aus wie zwölf oder dreizehn – so alt wie Bobek, dachte er plötzlich.
    Beim Essen betrachtete er die von seiner Wirtin mit der Hand gezeichnete Karte, die ihm den drei Kilometer langen Fußmarsch zu Struks Haus zeigte. Tadeusz hatte ihm gesagt, das Haus stehe zum Verkauf, und der Makler, natürlich überrascht und erfreut, weil sich ein Kaufinteressent bei ihm meldete, war gleich einverstanden gewesen, Janusz noch heute Vormittag herumzuführen. Janusz war nicht sicher, was er von dem Besuch erwartete, aber vielleicht würde er so ja in Erfahrung bringen, was hinter Adamskis Traum von einer Karriere als Antiquitätenhändler steckte.
    Er knüllte das Einwickelpapier zusammen und stand auf, um es in einen Papierkorb zu werfen. Mal halblang , sagte er sich, glaubst du wirklich, du könntest ein wasserdichtes Indiz ausgraben, das beweist, dass Adamski Struk ermordet hat? Ein Tagtraum, der natürlich damit endete, dass der Mistkerl lebenslänglich in einem polnischen Gefängnis schmorte.
    Der Fußweg führte durch alte Laubwälder und endete etwa eine halbe Stunde später am sandigen Ufer des Sees. Die Wasserfläche vibrierte in der Morgensonne wie Quecksilber und spiegelte die kalkweißen Stämme der jungen Birken am anderen Ufer wider. Janusz blieb einen Moment stehen und lauschte dem Flüstern und Kichern des Wassers zwischen den Schilfhalmen. Im nächsten Moment hallte ein ohrenbetäubender Knall über den See, worauf Janusz sich blitzschnell auf den Boden warf. Schoss da etwa irgendein Idiot auf ihn? Der zweite Schuss, ein wenig weiter entfernt, ließ einen Vogelschwarm aus den Baumwipfeln aufsteigen. Janusz stand auf und klopfte sich mit einem verlegenen Grinsen den Sand von den Händen – nur ein Bauer, der Jagd auf Krähen oder Füchse machte. Wenn er sich keine Ladung Schrot in den Hintern einfangen wollte, musste er vorsichtiger sein.
    Struks Haus stand, inmitten von verwilderten Feldern, oberhalb des Sees. Bis zum nächsten Haus war es eine gute halbe Stunde Fußmarsch. Wahrscheinlich pflegten ehemalige Mitarbeiter des SB nicht viele gutnachbarschaftliche Kontakte, dachte Janusz. Unter den Kommunisten hatte die nomenklatura , also die wenigen Auserwählten, die für das Regime arbeiteten, als Verräter an Polen gegolten, und die SB war am verhasstesten gewesen – sogar mehr noch als die milicja oder die Gorillas von der ZOMO .
    Struks Haus war lang gestreckt und hatte ein niedriges, steiles Giebeldach, ein typisches Anwesen, wie es sich ein wohlhabender Landwirt vor einigen Hundert Jahren gebaut haben mochte. Inzwischen jedoch sah es heruntergekommen und traurig aus. Die geschnitzten und lackierten Fensterläden waren an manchen Stellen bis aufs nackte Holz gesprungen, die traditionelle Veranda mit ihrem Giebel und den klassischen Säulen war eingesackt. Als Janusz die Stufen hinaufging, bemerkte er, dass eine der Doppeltüren bereits offen stand. Anscheinend war der Makler schon da.
    Von der fünfeckigen Vorhalle aus führten fünf vertäfelte Türen in den restlichen Teil des Hauses, und während Janusz noch zögerte und überlegte, welche er nehmen sollte, öffnete sich eine davon, und der Makler erschien. Er wischte sich die Hände an einem Taschentuch ab.
    »Ich habe ein paar Fenster aufgemacht, um frische Luft hereinzulassen«, meinte er und hielt Janusz zur Begrüßung die Hand hin. »Seit dem Tod des Eigentümers war niemand mehr hier, deshalb riecht es ein wenig muffig.«
    Sein Blick wanderte über Janusz’ Beulen. »Sie sagten, Sie lebten in London. Suchen Sie ein Ferienhaus?«, fragte er und führte Janusz ins Wohnzimmer.
    »Ja, ein Ferienhaus«, stimmte Janusz zu. »Ich habe in einem Lager nicht weit von hier meinen Wehrdienst abgeleistet und immer gehofft,

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