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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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geblieben war, versuchte Janusz es oben. Allerdings konnte er auf seinem Weg durch sämtliche Zimmer des Hauses nichts entdecken, was vor den Siebzigerjahren hergestellt worden war. Dann jedoch fiel ihm ein, dass der Makler einen ausgebauten Speicher erwähnt hatte. Am Ende des Flurs in der ersten Etage führte eine modern wirkende Brandschutztür zu einer schmalen Treppe aus lackiertem Fichtenholz. Oben angekommen, trat er nicht wie erwartet in einen düsteren, mit Gerümpel vollgestapelten Raum, sondern in den Sonnenschein, so hell, dass er die Augen zukneifen musste.
    Zwei riesige Fenster in der Dachschräge zwischen den Deckenbalken sorgten dafür, dass der Raum lichtdurchflutet war. Der Grund dafür lag auf der Hand: Die weiß gestrichenen Wände waren mit unzähligen gerahmten Aquarellen bedeckt. Es schienen ausschließlich Landschaften zu sein, und bei näherer Betrachtung stellte Janusz fest, dass sie alle an der unteren rechten Ecke mit » WS « signiert waren. Janusz fand sie recht gut gelungen – die Werke eines begabten Amateurs. Doch als er von Bild zu Bild ging, wurde er von Unbehagen ergriffen.
    Witold Struk hatte genau dieselbe Szene wieder und wieder gemalt – eine grün gestrichene dacza , die an ein Hexenhäuschen erinnerte, umringt von Birken und an einem Seeufer stehend. Es waren nie Menschen abgebildet, und die Vorhänge der dacza waren immer geschlossen. Nur die Witterungsbedingungen unterschieden sich, und die Perspektive des Malers wies leichte Veränderungen auf.
    Janusz stand da, starrte auf eines der Bilder und kniff die Augen zusammen, als brüte er über einer schwierigen Gleichung mit x im Quadrat. Die Gemälde waren im Hochsommer entstanden. Die Birken hatten ein dichtes, schimmerndes Blätterdach, der See war milchig blau. Wie auf allen Bildern zog auch hier die dacza den Blick des Betrachters an. Hinter den Vorhängen war kein Lebenszeichen zu erkennen.
    Er konnte sich nicht erklären, warum die Bilder für ihn etwas Düsteres und Bedrohliches ausstrahlten. Das Haus selbst war nicht sonderlich bemerkenswert, und Janusz kam zu dem Schluss, dass es am starren Blick des Malers liegen musste – daran, wie er die dacza stets inmitten eines Tunnels aus Bäumen zentrierte: fast als betrachte er sie durch das Zielfernrohr eines Gewehrs.
    Ratlos wandte Janusz sich ab. Struks Zwangsneurose zu ergründen würde ihm nicht helfen herauszufinden, warum Adamski den alten Mann umgebracht hatte.
    Er kehrte ins Erdgeschoss zurück und stieß dort auf eine weitere modern aussehende Tür in der Küchenwand, die vermutlich in den Keller führte – dorthin, wo laut Tadeusz Struks Leiche gefunden worden war. Die Tür war verschlossen, doch der von Holzwurmlöchern durchsetzte Rahmen war erst vor kurzem aufgebrochen worden. Vielleicht hatte die Polizei sich ja gewaltsam Zutritt verschafft. Er schob die Klinge seines Taschenmessers zwischen Tür und Rahmen, bis das mürbe Holz, begleitet von einer Staubwolke, nachgab. Dahinter begann eine alte Eisentreppe, die in der Dunkelheit verschwand.
    Als die Tür hinter Janusz zufiel, entdeckte er den Lichtschalter an der Wand und betätigte ihn. Nichts. Also zündete er sein Feuerzeug an und tastete sich vorsichtig und mit wild klopfendem Herzen in die unterirdische Düsternis hinab.
    Am Fuße der Treppe ging er in die Hocke und ließ die Flamme des Feuerzeugs bogenförmig über den Betonboden gleiten. Anderthalb Meter von der untersten Stufe entfernt fand er, was er gesucht hatte: einen dunkelbraunen, etwa handgroßen Fleck, der unauslöschlich in den Beton eingesickert war. Janusz betrachtete die Treppe, berechnete den Fallwinkel eines stürzenden Körpers und kam zu dem Schluss, dass sich der Blutfleck genau an der richtigen Stelle befand, wenn Struk die Treppe hinuntergefallen – oder -gestoßen worden – war.
    In der Mitte des Kellers erhoben sich die massiven Umrisse eines Schreibtischs aus der Dunkelheit. Als Janusz eine Architektenlampe bemerkte, die über die Schreibtischplatte ragte, suchte er am Kabel nach dem Schalter.
    Dann leuchtete er die graue Platte des Schreibtischs ab wie mit einer Taschenlampe. Zu seiner Überraschung tauchten im Lichtkegel mit Papieren gefüllte Aktenschalen aus Draht und ein von frisch gespitzten Stiften strotzender Bleistiftständer auf. Neben einer altmodischen Schreibtischunterlage entdeckte er einen Füllhalter, der aussah, als sei vor wenigen Minuten noch damit geschrieben worden. Dabei lag ein altmodischer

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