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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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Orchester und darunter einige Zeilen Text. Am Rand des Ausschnitts standen ein Datum – 13. September des Vorjahres – und zwei Wörter, die vermutlich der Name der Zeitung waren: Kurier Gorodnik .
    Als Kershaw den Motor anließ, hatte sie das unangenehme Gefühl, dass Janusz Kiszka mehr von dem Treffen profitiert hatte als sie.
    »Bis jetzt Fehlanzeige«, verkündete Dave, der Strebertyp von der Spurensicherung, und sah Kershaw an. Mit finsterer Miene betrachtete er den mit silbernem Fingerabdruck-Pulver bestäubten Knauf von Ela Wronskas Balkontür. »Offenbar leidet die Reinigungsfrau an einer Zwangsneurose.«
    Kershaw schaute sich in dem Zimmer um: Es wirkte so gespenstisch unpersönlich wie bei ihrem ersten Besuch. Die weiß verhüllten Füße eines zweiten Mitarbeiters der Spurensicherung ragten aus der Badezimmertür.
    »Wahrscheinlich haben Sie kein verstecktes Tagebuch gefunden?«, fragte sie.
    Dave stand auf und streckte sich, dass sein weißer Schutzanzug raschelte. »Ich fürchte, das ist alles.« Er wies aufs Bett, wo ein klägliches Häufchen von Besitztümern lag.
    Kershaw konsultierte ihre Aufzeichnungen. »Dieser Freund sagt, sie hätte ganz bestimmt ein Mobiltelefon besessen. Ich habe die Telefonfirma gebeten, mir die Unterlagen herauszusuchen.«
    Dave wies mit dem Kopf auf den Fluss. »Falls sie gesprungen ist, hat sie es vielleicht mitgenommen.«
    »Und außerdem hat sie sich noch ihren Laptop unter den Arm geklemmt«, entgegnete Kershaw mit zweifelnd hochgezogener Augenbraue.
    Er zuckte nur die Achseln, ging wieder in die Hocke und begann, mit dem Pinsel über die Fensterbank zu streichen. Kershaw spürte die kühle Atmosphäre, die in der Luft lag, und erinnerte sich, dass sie Dave bei ihrer letzten Begegnung im Waveney Thameside verärgert hatte. Nun biss sie sich auf die Lippe und fragte sich, ob er deshalb womöglich Dienst nach Vorschrift machte.
    Plötzlich sah sie ihren Dad vor sich, der sie auf irgendeinem Kindergeburtstag beiseitenahm und sich vor sie hockte. Sein Blick war zwar gütig, doch sein Tonfall duldete keinen Widerspruch: Wenn sie sich nicht entschuldigte, würden sie sofort nach Hause gehen. Kershaw hatte längst vergessen, was genau sie damals verbrochen hatte, doch die Erinnerung an sein enttäuschtes Schweigen auf der Heimfahrt war noch genauso schmerzhaft und deutlich wie vor zwanzig Jahren.
    »Hören Sie, Dave«, begann sie. »Als wir uns letztens getroffen haben, war ich vielleicht … ein bisschen unfreundlich.« Mit finsterer Miene beugte er sich tiefer über seine Arbeit. Sie runzelte die Stirn und straffte die Schultern. »Streichen Sie das, ich war sehr unfreundlich. Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich mich so dämlich benommen habe.«
    Dave warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Entschuldigung angenommen«, erwiderte er.
    »Als Bacon mir gesagt hat, dass Sie diesen Tatort untersuchen, war ich ganz aus dem Häuschen«, fuhr Kershaw fort. »Er meinte: ›Falls jemand in diesem Zimmer gefurzt hat, beschafft Dave Ihnen eine Probe.‹ «
    Dave brummelte zwar nur etwas, aber sie merkte an seinen geröteten Wangen, dass er sich von dem Kompliment geschmeichelt fühlte.
    Als Kershaw das Wohnheim verließ, um sich auf den Weg zu Monsignore Zielinskis Büro zu machen, konnte sie einen Blick auf den Rücken eines Mannes mit blondem Haar erhaschen, der vor ihr um die Ecke bog. Sie lief ihm zwar nach, doch er war spurlos verschwunden. Er hatte starke Ähnlichkeit mit Timothy Lethbridge, was sie wunderte, denn als sie ihm eine Nachricht hinterlassen hatte, sie würde gern noch einmal mit ihm reden, hatte er mit einer SMS geantwortet: Es täte ihm leid, aber er werde den ganzen Tag im British Museum sein, um etwas zu recherchieren.
    Heute trug Monsignore Zielinski einen dunkelgrauen Anzug, nur der Priesterkragen wies auf seinen Beruf hin. Die Schuhe, die unter seinen Hosenbeinen hervorlugten, schimmerten so satt wie kastanienbraune Rennpferde und hatten fast dieselbe Farbe wie sein Lockenschopf. Er schüttelte ihr zwar wie immer mit selbstbewusstem Charme die Hand, doch seine Augen wirkten ein wenig blutunterlaufen. Offenbar belastete es ihn, die Polizei im Haus zu haben. Zuerst erkundigte sich Kershaw bei ihm, ob Timothy Lethbridge seines Wissens nach heute im College sei.
    »Ja, ich habe ihn mittags in der Mensa gesehen«, erwiderte Zielinski. »Soll ich mich erkundigen, ob er heute Nachmittag Vorlesungen hat?«
    »Wenn das möglich wäre«, entgegnete Kershaw.

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