Sündenfall: Roman (German Edition)
brummte er. »Schick das an Justynas Angehörige.« Mit diesen Worten marschierte er davon, ohne sich zu verabschieden.
Etwa zehn oder fünfzehn Minuten lang ging er wie auf Autopilot oder so, als sei er von einer Luftblase umschlossen. Er überquerte den Oxford Circus, wo sich die Busse drängten, und spazierte durch wabernde Touristenwellen und lasergesteuerte Büroangestellte auf dem Weg in die Mittagspause weiter die Carnaby Street entlang bis zur Beak Street – wo ihm endlich klar wurde, dass er geradewegs auf Kasias Club zusteuerte.
Er wurde langsamer und machte einen Umweg über die Berwick Street. Die Sonne schien. Auf dem Gemüsemarkt herrschte reges Treiben, und die lauten Rufe der Markthändler, die klangen wie ein Chor aufgebrachter Elstern, vertrieben die wirren Gedanken aus seinem Kopf. Zum Teufel. Er würde Kasia als Friedensangebot ein Geschenk mitbringen. Schließlich würde er sie einige Tage lang nicht sehen können und musste wissen, ob es zwischen ihnen noch etwas zu retten gab.
Er begutachtete das Angebot der besten Stände am südlichen Ende des Marktes in der Nähe der Kreuzung Peter Street. Hier gab es die hochwertigste Ware, mit der sich die Restaurants eindeckten, die hundert Pfund pro Menü nahmen und wo die Köche laut Oskar gute Lebensmittel aus unerklärlichen Gründen in Schaum verwandelten. Schließlich entdeckte er genau das Richtige: einen Korb frischer Austernpilze mit gewellten Rändern, die, in Butter und Knoblauch gebraten und mit einem Löffel Crème fra î che und etwas gehacktem Dill abgeschmeckt, ein köstliches Frühstück ergeben würden.
Die braune Papiertüte mit den empfindlichen Pilzen in der großen Faust, verließ Janusz die beinahe ländliche Marktszene und schlüpfte in die dunkle, nach Pisse riechende Seitengasse, die als Eingang zu Sohos Kaninchenbau aus Sexshops, Stripteaselokalen und Lapdance-Läden diente. Hier lehnten hübsche Mädchen mit müden Gesichtern in den Türen und versuchten, Freier anzulocken. Doch bei Janusz’ Anblick verwandelte sich die herausfordernde Miene in ein Lächeln und ein Dzie ń dobry, Panie , von den Polinnen und Ukrainerinnen.
Er war froh, Kasia voll bekleidet hinter dem Tresen des Clubs anzutreffen. »Ach du grüne Neune!«, rief sie, als sie sein Gesicht sah. Diesen Ausdruck hatte er schon seit seiner Kindheit nicht mehr gehört. »Nur ein kleiner Konflikt mit einem Auto«, erwiderte er, worauf sie zweifelnd die Augenbraue hochzog.
»Ich brüte eine Erkältung aus«, antwortete sie, als er sie fragte, warum sie heute nicht tanzte. »Also hat Ray mich zur Geschäftsführerin befördert, während er zum Großeinkauf fährt.« Offenbar freute sie sich über den verantwortungsvollen Posten, auch wenn es nur vorübergehend war.
Die Tüte mit den Austernpilzen brachte ihm ein erotisches schiefes Lächeln ein, das ihn unglaublich glücklich machte. Und nachdem sie Zitronentee für sie beide gekocht hatte, setzte sie sich neben ihn auf einen Barhocker, um ihn zu trinken. Fünfzehn Meter weiter, hinter einem Türbogen, wand sich ein Mädchen mit Stringtanga und Federboa, eingehend beobachtet von einigen reglos verharrenden Kunden, zum hämmernden Rhythmus eines Popsongs. Auch wenn das Umfeld nicht gerade romantisch war, hatte Janusz es nach einigen Sekunden völlig verdrängt.
Kasias Lächeln war warm, doch in ihren großen, wunderschönen Augen zeigte sich ein Zweifel, der nichts Gutes für ihre gemeinsame Zukunft verhieß. Janusz suchte nach den richtigen Worten, um die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, doch der Gedanke an eine erneute Debatte über ihre Eifersucht und ihre lebenslange Ehe mit Steve hatte eine niederdrückende Wirkung auf ihn. Außerdem beschäftigte ihn, wie sie vermutlich beide ahnten, eine andere unangenehme Frage: Würde er den Mut haben, sich noch einmal auf eine Lebensgemeinschaft mit einer Frau einzulassen, falls sie jemals beschließen sollte, sich von Steve zu trennen?
Etwa eine Minute lang tranken sie schweigend ihren Tee. Als Janusz die Sitzposition auf dem Barhocker veränderte, fuhr ein Messerstich durch seine lädierte Rippe, sodass ihm kalter Schweiß auf der Oberlippe stand.
»Ich habe dir nie von Iza erzählt, meiner ersten richtigen Freundin vor Marta«, sagte er und umfasste das heiße Glas mit der Hand. Kasia erstarrte. Schon oft hatte sie sich gefragt, wie Janusz wohl an Marta geraten war, doch er hatte ihr nie Einzelheiten über sein Liebesleben vor ihrer Begegnung verraten. »Sie
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