Sündenfall: Roman (German Edition)
erdulden müssen.
Edward ist ein paar Jahre jünger als ich. Also habe ich mich damals in Huta ein bisschen um ihn gekümmert und dafür gesorgt, dass er es nicht zu bunt trieb und deshalb auf Nimmerwiedersehen verschwand. Aber als es 1980 richtig losging und die Gewerkschaftsführung von seiner Begabung erfuhr, die Leute mitzureißen, redete er bald auf allen möglichen Veranstaltungen.« Janusz erinnerte sich an Zamorskis Rede bei der Kundgebung in Danzig auf dem Höhepunkt der Revolte – an seine Ruhe, sein Charisma und daran, wie seine Worte die Menschen wachgerüttelt hatten.
»Ich habe ihn einmal auf dem Rynek , dem Krakauer Marktplatz, sprechen hören«, sagte Nowak, »und von diesem Moment an wusste ich, dass sein Leben der Politik gehören würde.«
Laut Nowak war Zamorski noch vor seinem dreißigsten Geburtstag Vollzeitaktivist der Bewegung gewesen und durch ganz Polen gereist, um Reden zu halten und bei Gewerkschaftsversammlungen und Demonstrationen Demokratie zu fordern.
»Edward war in seinem Element«, meinte Nowak lächelnd. »Gut, er lebte aus dem Koffer, und das konnte recht einsam werden, nachdem die Menschenmenge sich zerstreut hatte. Doch mir hat er erzählt, in all seinen Jahren unterwegs habe er nie freiwillig eine Nacht allein verbracht.« Er sah Janusz an und zog, gleichzeitig amüsiert und tadelnd, die Augenbraue hoch.
»Sie sind vielleicht noch zu jung, um sich zu erinnern, aber die Anführer von Solidarność waren damals so etwas wie Rockstars«, fügte er, inzwischen mitteilsam geworden, hinzu. »Edward trat auf die Bühne, hielt eine seiner mitreißenden Reden, und wenn er fertig war, warfen die Damen, um in seinen Worten zu sprechen, buchstäblich ihre Unterwäsche nach ihm.«
War das also das große Geheimnis?, dachte Janusz. Dass Edwards Redetalent ihm so manche wilde Nacht eingebracht hatte, bevor er einen Bauch bekam? Er runzelte die Stirn.
»Zamorskis Anhänger mögen konservativ sein«, meinte er. »Aber sie werden sich sicher nicht von ihm abwenden, nur weil er vor dreißig Jahren Erfolg bei den Frauen hatte.«
»Nein, natürlich nicht«, stimmte Nowak zu und griff nach seinem Zigarettenpäckchen. »Allerdings war da eine ganz bestimmte Dame, die er 1989 bei einer Kundgebung in Posen kennenlernte – einer der letzten, bevor Jaruzelski das Handtuch warf. Eine sehr schöne Blondine und offenbar kein Kind von Traurigkeit.« Seufzend dachte er an die Unvernunft der Jugend. »Jedenfalls sind sie zusammen auf sein Zimmer gegangen und haben das getan, was junge Leute eben so tun. Und am nächsten Tag ist er in den Zug gestiegen und weitergefahren.« Er strich sich mit der Hand vom Nacken aufwärts über den rasierten Schädel; sie saßen so nah beisammen, dass Janusz das Knistern der Stoppeln hörte. »Wenn man jung ist, glaubt man häufig, dass das eigene Handeln keine Folgen hat. Doch einige Monate später stellte er fest, dass das Mädchen ein wenig sparsam mit der Wahrheit umgegangen war, wie es so schön heißt.« Er schmunzelte über den Ausdruck und ließ sich von Janusz Feuer geben. »Sie war, anders, als sie Edward gesagt hatte, keine achtzehn Jahre alt, sondern gerade erst fünfzehn geworden.«
Janusz stieß einen leisen Pfiff aus: Das war brandgefährlich. Wenn es sich herumsprach, dass der zuverlässige und ehrenwerte Zamorski, Held von Solidarność und zukünftiger Retter Polens, ein Schulmädchen gevögelt hatte, würde die ältere weibliche Wählerschaft Schaum vor dem Mund bekommen, selbst wenn es sich um ein harmloses Missverständnis handelte – und zwar vermutlich in so großer Zahl, dass er die Wahl verlieren würde.
»Aber das Mädchen hat offenbar all die Jahre geschwiegen. Wie ist ein chuj wie Adamski bloß dahintergekommen?« Janusz erstarrte. Plötzlich war ihm ein Gedanke gekommen: Was, wenn Zamorski noch immer eine Schwäche für blonde junge Mädchen hatte? »Hat Adamski herausgefunden, dass Zamorski eine Affäre mit Weronika hat?«, fragte er, das Gesicht vor Abscheu verzogen.
Nowak schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, es ist noch schlimmer.« Er hielt inne und pflückte sich einen Tabakkrümel von der Zunge. »Er hat entdeckt, dass Weronika Edward Zamorskis Tochter ist.«
Janusz sprang vor Schreck auf. Er kehrte Nowak den Rücken zu, starrte aus dem offenen Fenster auf die etwa einen Meter entfernte Backsteinmauer und kramte seine Zigarren aus der Hosentasche. Zamorski Weronikas Vater ? Zum Teufel mit Pater Piotr, ihm das zu
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