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Sündenfall: Roman (German Edition)

Sündenfall: Roman (German Edition)

Titel: Sündenfall: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anya Lipska
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Während er den Kaffee mit geschäumter Milch krönte, ließ sie den Blick über die Papiere auf der Arbeitsfläche aus poliertem Stein schweifen. Sie erkannte den Briefkopf von einem, zwei, drei, ja, sogar verschiedenen Kreditkartenunternehmen. Also doch kein so tolles Gehalt, du Wunderknabe , dachte sie.
    Während sie auf seinem überdimensionalen Ledersofa ihren Kaffee tranken, überschlug er sich förmlich vor hilfsbereitem Lächeln und Gesten und studierte mit konzentriert gerunzelter Stirn den Kreditkartenausdruck, der bei der Bezahlung des Zimmers entstanden war. Doch auf alle ihre Fragen zu dem Mann mit Hut – »Würden Sie ihn als groß bezeichnen?«, »Schlank oder muskulös?«, »Hatte er einen osteuropäischen Akzent?« – erntete sie nur ein Kopfschütteln.
    »Es tut mir wirklich leid, Officer, aber ich erinnere mich einfach nicht mehr an ihn«, sagte er und breitete die Hände aus, das Sinnbild eines Menschen, der nichts zu verbergen hatte – eine Geste, der Kershaw stets misstraute. Selbst als sie die auf DVD überspielten Überwachungsbänder zutage förderte und ihm die Stelle vorführte, die den Mann beim Einchecken – und Alex fröhlich plaudernd und grinsend hinter der Theke – zeigte, schüttelte er weiter den Kopf und mimte den Ahnungslosen.
    »Was ist mit diesen beiden?«, versuchte sie es weiter und spulte zu dem amerikanischen Paar zurück. Auf dem riesigen Bildschirm erinnerten ihre Rückseiten an in Karostoff gewandete Nilpferdzwillinge.
    Das herablassende Lächeln der Jungen und Durchtrainierten zeigte sich auf Alex’ Gesicht, was ihn ihr gleich noch unsympathischer machte. »Mr und Mrs Waldenheim, der Dritte, aus Plastic, Colorado« , verkündete er mit übertriebenem amerikanischen Akzent. Im nächsten Moment wurde ihm klar, dass er Kershaw mit dieser Probe seiner Merkfähigkeit umso mehr verärgert hatte, und er zuckte die Achseln. »Ungewöhnliche Namen behält man wahrscheinlich besser«, sagte er.
    Kershaw spulte vor bis zu der Stelle, an der das Mädchen im schulterfreien Kleid, vermutlich eine Sexarbeiterin, ihren Begleiter so begeistert betatschte, als wolle sie bei ihm eine Leibesvisitation durchführen. »Erinnern Sie sich an diese beiden?«
    Alex runzelte konzentriert die Stirn und schüttelte dann wieder den Kopf. »Äh, nein.«
    »Wie viele Gäste nutzen Ihrer Ansicht nach das Waveney, um Sex mit Prostituierten zu haben?«, fragte sie. »Nur eine grobe Schätzung.«
    Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und zeigte ihr wieder seine Handflächen.
    »Im Hotel gelten strenge Regeln, um zu verhindern, dass Sexarbeiterinnen in den öffentlich zugänglichen Bereichen Kontakte anbahnen. Aber wenn ein Paar kommt und zusammen eincheckt, kann man unmöglich feststellen, ob es sich um eine … Geschäftsbeziehung handelt.«
    Er schien sehr zufrieden mit seiner kleinen Darbietung in Sachen Management-Gerede, die allerdings Kershaws Verdacht nicht zerstreuen konnte. Sie vermutete nämlich, dass das Hotel nicht nur mit wohlhabenden Touristen und Geschäftsreisenden guten Umsatz machte, sondern auch mit Prostituierten und deren Kunden. Ein ungeklärter Todesfall im Haus war an sich schon heikel genug. Doch falls sich Justyna als Sexarbeiterin entpuppen sollte, die bei der Ausübung ihres Berufes ermordet worden war, würde das dem Ruf des Hotels als Nobelherberge ernsthaften Schaden zufügen. Vielleicht litt Alex ja an einer seltenen Form von Jugenddemenz – doch wahrscheinlich war, dass die Hotelmitarbeiter klare Anweisungen hatten: einfach den Mund halten, bis der Polizei langweilig wurde und sie wieder ging.
    Als Kershaw ins Büro kam, musste sie die letzten Meter zu ihrem Schreibtisch im Laufschritt zurücklegen, weil das Telefon läutete.
    »Sie klingen ein wenig atemlos, Detective«, ertönte eine sonore Stimme. »Noch immer auf der Jagd nach Bösewichten, wie ich hoffe?«
    »Oh, hallo, Dr. Waterhouse. Haben Sie etwas über Justyna Kozlowska für mich?«
    Die Autopsie hatte am Vormittag etwa um dieselbe Zeit stattgefunden, zu der sie Janusz Kiszka in die Mangel genommen hatte. Mit angehaltenem Atem und platzend vor Neugier wartete sie auf die Antwort, aber Waterhouse war heute zum Scherzen aufgelegt.
    »Darf ich Ihnen zu Ihrer polnischen Aussprache gratulieren, Detective? Wenn Sie so weitermachen, wird Ihnen Paramethoxyamphetamin bald mühelos über die Lippen kommen.«
    Sie zwang sich, in sein Gelächter einzustimmen. Gleichzeitig machte sie ihren Gefühlen Luft, indem sie

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