Sündenfall: Roman (German Edition)
verurteilen wird immer ein Problem bleiben, weil, tja, Aussage gegen Aussage steht.« Er zuckte weltmännisch die Achseln.
»Sind Sie auch dieser Ansicht, DC Kershaw?«, wollte Bacon wissen.
»Bis zu einem gewissen Punkt ja, Sergeant«, antwortete sie. »Doch ein weiterer Grund ist, dass die Geschworenen denken, das Mädchen habe es selbst herausgefordert, wenn es allein mit einem Mann mitgegangen ist.«
Zu ihrer Überraschung nickte Bacon. »Ich glaube, Sie werden feststellen, dass DC Kershaw eine hilfreiche Perspektive zu der Debatte beiträgt«, wandte er sich an Browning. »Denn im Gegensatz zu Ihnen musste sie sich vermutlich schon mit vielen bösen Buben herumschlagen, die ihr an die Wäsche wollten.«
Als Bacon aufstand und sich reckte, erhielt Kershaw durch sein auseinanderklaffendes Hemd furchterregende Einblicke in seine rote Bauchbehaarung.
»Glauben Sie meinetwegen, dass ich von gestern bin«, sagte er, »aber meiner Auffassung nach gibt es nur eine Methode, mehr von diesen Brüdern hinter Gitter zu bringen – Verhandlungen ohne Geschworene.« Mit dieser scharfsinnigen juristischen Erkenntnis kehrte Bacon an seinen Schreibtisch zurück.
Browning, der Kershaw mit finsteren Blicken bedachte, seit Bacon Partei für sie ergriffen hatte, lächelte ihr nun heuchlerisch über den Schreibtisch hinweg zu. »Was ist denn mit der Wasserleiche, an der du dran bist, der kleinen Polin?«, fragte er.
»Der Sergeant stuft sie als Selbstmörderin ein, die in den Fluss gesprungen ist, als sie zugedröhnt war«, erwiderte Kershaw und wollte sich wieder dem PMA -Bericht zuwenden.
»Kling plausibel«, entgegnete Browning, während er seine Mails aufrief. »Tätowierung, Drogen, Osteuropa – das weist doch alles auf eine Sexarbeiterin hin, oder? Vermutlich auch noch Menschenhandel.«
Kershaw lächelte Browning reizend an. »Liest du je auch den Teil der Zeitung, in dem die Auslandsnachrichten stehen? Polen ist jetzt schon jahrelang in der EU . Wahrscheinlich ist sie mit Ryanair gekommen.«
Er grinste nur. »Egal. Jedenfalls würde ich den Fall an deiner Stelle auf Eis legen. Du hast keine Chance, sie zu identifizieren.«
Was seine Selbstzufriedenheit besonders ärgerlich machte, war, dass er vermutlich recht hatte. Falls Ela – oder Justyna – Sexarbeiterin gewesen war und überdies noch eine, die aus dem Ausland stammte, würde es ein Alptraum werden, herausfinden zu wollen, wer sie war. Kershaws Blick fiel auf das Foto von Ela, das die Vermisstenabteilung aus den Autopsiefotos zusammengebastelt hatte. Wie digitale Bestattungsunternehmer hatten sie Verletzungen retuschiert, mit Photoshop Augen in die leeren Höhlen eingesetzt und ihr das tizianrote Haar ums Gesicht gelegt. Zumindest hatte sie nun ein halbwegs anständiges Bild, das sie vorzeigen konnte. Aber was, wenn niemand sie als vermisst gemeldet hatte? Eine Prostituierte konnte leicht in den trüben Gewässern ihres Lebens versinken, ohne auch nur einen Strudel zu hinterlassen.
Plötzlich zornig, beugte Kershaw sich über den Schreibtisch und wies mit dem Kopf auf die Schnittwunde an Brownings Kinn.
»Du solltest damit aufpassen«, meinte sie in besorgtem Tonfall. »Bei deiner vielen Arschkriecherei könnte sich das entzünden.«
Zugegeben, das war pubertär, doch sein selbstgefälliges Grinsen verschwand schlagartig.
Sie klickte den Drucker an, und während das Gerät den PMA -Bericht ausspuckte, machte sie sich eine starke Tasse Tetley’s. Dann griff sie nach dem noch warmen Ausdruck und ihrem Mantel und eilte zur Tür – wo sie prompt mit Ben Crowther zusammenstieß und ihm Tee über die Schuhe schüttete.
»Entschuldige, Ben«, sagte sie und kramte ein Taschentuch aus der Manteltasche.
Er lachte nur, nahm das Taschentuch und bückte sich, um sich die Schuhe abzuwischen.
»Wohin willst du denn so eilig?«, fragte er und blickte gleichzeitig amüsiert und nachsichtig zu ihr hoch.
»Ach, ich suche nur ein ruhiges Plätzchen, um das hier zu lesen.« Kershaw schwenkte den Bericht und verdrehte die Augen in Brownings Richtung.
Ben grinste lässig wie immer. »Lässt du dich wieder von Tom ärgern?«, meinte er beim Aufstehen.
»Ja, wahrscheinlich«, erwiderte sie. »Er weiß genau, auf welchen Knopf er bei mir drücken muss.« Sie zuckte zusammen, als ihr die Doppeldeutigkeit ihrer Worte klar wurde, aber Ben schien es nicht bemerkt zu haben.
»Warte«, meinte er und blickte über ihre Schulter. »Hast du Lust, Freitag nach der Arbeit einen
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