Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
eigenen Sohnes Hand.«
»Er hat sie getötet?« Durch die Düsternis der Kerkerzelle starrte Philip den Alten an. Zum ersten Mal spürte er den wahren Abram ben Levi, nicht diesen halb vom Wahnsinn zerfressenen Narren. Abram nickte. Kein Kichern mehr. Tiefe Trauer erfüllte das Verlies.
»War es ein Unfall?« Philip konnte sich keinen anderen Grund denken, warum ein Sohn seine Mutter töten sollte.
»Kein Unfall«, murmelte der alte Jude. »Nur die Bösartigkeit eines Sohnes, der es nicht ertrug, Kind zweier Welten zu sein.« Er keuchte auf. »Lange ist es her, sehr lange. Und es war der Beginn der Verderbtheit, die ihm den Beinamen Der Schakal eintrug.«
Philip fuhr hoch. »Der Schakal? Sprichst du von Khalil?«
»Von ihm. Und deshalb bin ich hier.« Abrams Stimme schien an Kraft zu gewinnen. »Willst du die Geschichte hören?«
Philip nickte. Der alte Kadir war also mit einer Jüdin verheiratet gewesen. Im Nachhinein wunderte Philip sich nicht darüber. Kadir war ein Mann gewesen, der die Menschen nach ihrem Herzen und nicht nach ihrem Glauben beurteilt hatte. Er hatte Philip trotz seines christlichen Glaubens wie den eigenen Enkel geliebt. Und Philip hatte damals keinen Gedanken daran verschwendet, ob Kadir eine Familie hatte. Erst kurz vor Kadirs Tod hatte er von Khalil erfahren, dem verstoßenen Sohn, dem der Vater das Erbe verweigerte – jenes Buch des Wissens, in dem alle Geheimnisse des Orients verzeichnet waren. Sein Sohn sei von böser Gesinnung, hatte Kadir erklärt, als er Philip zu seinem Erben gemacht hatte, diese Behauptung aber nicht weiter ausgeführt. Hatte Khalil zu jener Zeit die eigene Mutter bereits ermordet? Hatte der Vater ihn deshalb verstoßen?
»Zipora war meine jüngste Schwester«, begann Abram mit erstaunlich klarer Stimme. »Unsere Eltern waren bereits tot, und so oblag mir als ältestem Sohn der Familienvorstand. Womöglich habe ich zu wenig auf Zipora geachtet, denn sie ging schon als kleines Mädchen eigene Wege und verließ den Bereich, der den Frauen vorgeschrieben ist. Nur so konnte es geschehen, dass sie Kadir erblickte und sofort in heißer Liebe zu ihm entbrannte.«
»Kadir war ein guter Mensch«, bemerkte Philip.
»Du hast ihn gekannt?«
»Er war mir wie ein zweiter Großvater.«
»Und doch wusstest du nichts von seiner Vergangenheit.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Nein«, gab Philip zu. »Bitte, sprich weiter!
»Nun, auch mir gefiel Kadir, doch es war unmöglich, ihm meine Schwester zum Weib zu geben. Eine Jüdin durfte keinen Muslim ehelichen, selbst wenn er ihr gestattete, ihrem Glauben treu zu bleiben. Niemals hätte die Gemeinde geduldet, dass die Kinder muslimisch erzogen wurden.«
»Ich dachte immer, bei euch Juden entscheidet die Abkunft der Mutter über die Zugehörigkeit.«
Abram nickte. »Mit dem Hinweis darauf überredete mich Zipora. Und Kadir kam uns entgegen, indem er die Beschneidung seines Sohnes schon am siebten Tage gestattete, so wie es Vorschrift ist. Ich gab also mein Einverständnis und glaubte, das Richtige zu tun. Doch die Frucht, die aus der Verbindung zweier so guter Menschen hervorging, war von Anfang an verderbt, denn der Herr will nicht, dass sich die Rassen mischen.«
»Wenn dies der Wille des Herrn wäre, dann würde er den Menschen keine Liebe schenken«, entgegnete Philip. »Wir Menschen ziehen die Grenzen, nicht Gott.«
»Nun, wie es auch sein mag, anfangs waren Zipora und Kadir voll des Glücks und galten als leuchtendes Beispiel für alle, die an eine Verständigung glaubten. Ihr Sohn erhielt den Namen Khalil – Freund –, damit er als lebender Beweis Zeugnis ablegen sollte für die Güte Gottes und die Versöhnung unter den Völkern.«
Abram hielt für einen Augenblick inne, ehe er weitersprach. »Doch Khalil war kein Freund der Welt. Schon als junger Knabe fand er Freude am Quälen. Er tötete Tiere auf grausamste Weise, warf mit Steinen nach anderen Kindern, bis sie bluteten. Und als Zipora ihn zur Ordnung rief, brach er ihr schon als Neunjähriger den Arm. Zipora verschwieg Kadir den Vorfall, denn sie wollte nicht, dass er den Sohn bestrafte. Und so erduldete sie alles, was Khalil tat, nahm es hin, dass er sie schlug, um sich vor seinen Freunden, muslimischen Knaben, als echter Moslem zu zeigen. Er wollte nichts mit seiner jüdischen Familie zu tun haben. Kadir war oft unterwegs und widmete sich seinen Studien. Er bemerkte erst, als es zu spät war, was aus seinem Sohn geworden war. Doch da war Zipora
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