Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
kennen, wohl kaum«, bestätigte Philip. »Was meinst du? Ob es sich lohnen würde, ihm heute Nacht einen Besuch abzustatten?«
»Du meinst doch nicht etwa, wir sollten einbrechen?«
»Das ist ein hässliches Wort. Heimlicher Besuch trifft es besser.«
»Du bist wahnsinnig! Wenn man uns erwischt, sind wir des Todes.«
»Es war nur so ein Gedanke«, beschwichtigte Philip seinen Freund. »Du hast recht, dafür ist es vermutlich noch zu früh. Lass uns zu Eustache reiten. Vielleicht weiß er mehr, und außerdem freue ich mich auf ein Wiedersehen mit ihm.«
Er warf seinem Knappen einen kurzen Blick zu. »Bruder Eustache wird dir gefallen, Bertram. Ich kenne ihn schon, seit ich ein Knabe war, und er lehrte mich Latein und einiges mehr.«
»Herr Heinrich sagte, er sei ein Benediktiner«, wiederholte Bertram die Worte, die er aufgeschnappt hatte. »Gibt es hier ein Kloster?«
»Nein, nicht mehr. Es ist wohl mehr als dreißig Jahre her, jedenfalls lange vor meiner Geburt, als das Kloster zerstört wurde und die meisten Mönche den Tod fanden. Es waren unruhige Zeiten damals. Die meisten Überlebenden flohen, aber Bruder Eustache ließ sich hier nieder, lebt von den Spenden der Christen und kümmert sich seit vielen Jahren in der Straße der Wollhändler um Waisenkinder und Bedürftige.«
Das Haus von Bruder Eustache hatte sich während der Jahre, seit Philip es kannte, nie verändert. Ein kleiner heller Lehmziegelbau, vor den eine Markise aus verblichenem Stoff gespannt war. Schon als Junge hatte Philip sich gefragt, welche Farbe der Stoff wohl einmal gehabt haben mochte, inzwischen war er grau wie der Staub, der vom Wind durch die Straßen getragen wurde.
Wie immer standen zahlreiche Kinder vor dem Haus und hielten Bettelschalen in den Händen. Bruder Eustache hatte für jeden etwas. Nur eines fiel Philip auf. Früher waren die Kinder nur zerlumpt und mager gewesen, aber heute entdeckte er besonders viele Verkrüppelte unter ihnen.
Der Bruder war damit beschäftigt, den Kindern aus einem riesigen Suppenkessel die Schalen aufzufüllen. Als er die Ankömmlinge auf ihren Pferden hörte, hielt er kurz inne und kniff die Augen zusammen, als müsse er schärfer hinsehen.
»Philip! Du bist zurück, mein Sohn!«, rief er auf Arabisch und ließ die Schöpfkelle in den Kessel sinken.
Philip sprang vom Pferd und ging dem kleinen Mönch entgegen. Bruder Eustache war beinahe so überschwänglich wie Philips Mutter, als er ihn an sich drückte. Philip ließ es sich lachend gefallen. Er schätzte seinen alten Lehrer, der trotz seines geistlichen Standes so ganz anders war als sämtliche Kirchenmänner, denen er gewöhnlich begegnete. Bruder Eustache war ein Mann voll menschlicher Wärme, Güte und Verständnis. Und doch auch jemand, der recht handfest seine Meinung zu vertreten wusste. Für einen Moment fühlte Philip sich an Lenas Tante erinnert, die Nonne Margarita. Sie besaß dieselbe fröhliche Art, ihren Glauben zu leben. Gütig und bodenständig zugleich, nie um eine Antwort verlegen.
Auch Said wurde von Bruder Eustache herzlich begrüßt, dann stellte Philip ihm Bertram vor.
»Mittlerweile hast du also schon einen Knappen«, sagte der Mönch. »Die Zeit bleibt nicht stehen. Wenn du dich eine Weile geduldest, bis ich meine Kinder versorgt habe, lausche ich mit Freude deinen Geschichten.«
Philip nickte lächelnd und sah zu, wie Bruder Eustache den Kindern die Suppenschüsseln füllte.
»Es scheint hier viele Krüppel zu geben«, raunte Bertram Philip zu. »Sind sie Opfer der Kämpfe?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Philip ebenso leise. »Der Koran gebietet den Gläubigen, einen Teil ihres Einkommens als Almosen zu geben. Dieser lobenswerte Grundsatz treibt zuweilen giftige Blüten. Es gibt Verbrecherbanden, die sich der streunenden Kinder annehmen und sie zu Bettlern abrichten. Die Knaben werden oft absichtlich verkrüppelt, damit die Menschen Mitleid haben und ihnen reichlicher Almosen geben. Nur haben die Kinder nichts davon, weil sie alles an ihre Herren abliefern müssen.«
»Und die Mädchen?«
»Die betteln nur, solange sie zu klein sind, um in Freudenhäuser gesteckt zu werden. Sie zu verkrüppeln, würde ihre späteren Einkünfte schmälern.«
Bertrams Augen wurden groß wie Suppenschüsseln.
»Das ist widerwärtig! Man merkt, dass hier die Heiden regieren!«
Philip legte Bertram eine Hand auf die Schulter. »Ach, Bertram, leider hat das alles überhaupt nichts mit dem Glauben der Menschen zu tun. Du
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