Sündenkreis: Thriller (German Edition)
großer Wasserfleck.
»Du könntest Mark anrufen. Er hat doch massenhaft Kontakte bei der Polizei. Vielleicht findet er etwas heraus.«
»Versuchen kann ich es.« Lara dachte an Marks Frau Anna und ihre Eifersucht. »Aber erst morgen Vormittag. Jetzt ist es zu spät. War denn auf den Aufnahmen von der Bankleiche noch mehr Interessantes zu sehen?« »Bankleiche« klang nach einem erfrorenen Penner auf einer Parkbank, aber die Bezeichnung war gestern in einigen Boulevardmedien aufgetaucht, und solche prägnanten Attribute blieben als Erstes im kollektiven Gedächtnis haften.
»Nichts von Belang. Der Kerl war komplett angezogen und es gab, soweit ich sehen konnte, keine sichtbaren Verletzungen. Trotzdem …« Jo steckte den kleinen Finger zwischen die Lippen und biss auf den Nagel. »Es war ein ziemliches Risiko für den Mörder, die Leiche dort zu drapieren. Zwar schließt die Filiale montags schon um sechzehn Uhr, sodass keine Mitarbeiter mehr anwesend waren, aber man muss ja davon ausgehen, dass ab und zu jemand kommt, um Geld oder Kontoauszüge zu holen. Er muss sehr schnell gehandelt haben. Und doch hat er es geschafft, die Leiche direkt vor dem Geldautomaten zu lagern, sodass der Tote diesen umarmte. Das hat mindestens fünf Minuten gedauert. Daraus folgt, dass ihm die Art und Weise der Präsentation sehr wichtig gewesen sein muss.«
»Der Tod dieses Robert Wessels hat also höchstwahrscheinlich etwas mit Geld zu tun.«
»Davon gehe ich aus.« Jo grinste kurz. »Wir zwei sind die reinsten Mordspezialisten.«
»Gibt es in dem Vorraum denn keine Videoüberwachung?«
»Nein, leider nicht.«
»Das muss der Mörder gewusst haben. Sicher hat er das Terrain vorher ausgekundschaftet.« Lara bewegte den Kopf vorsichtig von links nach rechts. Ihre Halsmuskeln waren verkrampft. »Ich frage mich, wie er es angestellt hat, den Toten in diese Filiale zu bugsieren, ohne dass es jemandem aufgefallen ist. Selbst wenn er sein Auto direkt vor der Eingangstür abgestellt hat, bleibt doch immer noch die Strecke über den Fußweg bis hinein in das Gebäude. Du hast doch gesagt, dass das gegenüberliegende Haus ein Wohnhaus ist. Die Gefahr, dass da jemand aus dem Fenster schaut, während er am Werk ist, ist doch riesig, oder?«
»Er muss irgendeinen Trick angewendet haben.«
»Warte, ich will mir das aufschreiben. Sonst habe ich morgen die Hälfte vergessen.« Lara kramte nach ihrem Notizbuch und suchte die Seiten über Carolin Fresnel und Nina Bernstein. »Dann bespreche ich das alles morgen mit Mark. Er ist schließlich Spezialist für Täterprofile.«
Jo wartete, bis sie fertig war. »Wie war eigentlich dein Besuch bei diesem Sektenbeauftragten?«
»Er hat die Texte übersetzt. Das Ganze ist ziemlich kryptisch, was wohl bei solchen Bibeltexten normal ist. Da wird nur so mit Metaphern um sich geworfen. Ich muss das zu Hause nochmal in Ruhe durchgehen. Möchtest du eine Kopie davon?« Würde Jo verstehen, was sie eigentlich damit sagen wollte? Dass er und sie heute nicht miteinander heimfahren würden?
»Gute Idee. Dann können wir uns morgen noch einmal darüber austauschen.«
Lara ging zum Kopierer und holte tief Luft. Es hatte geklappt.
»So ihr zwei!« Christin kam aus dem Nebenzimmer. »Redaktionsschluss! Hier wird jetzt zugemacht. Kommen Sie morgen wieder, meine Herrschaften.« Sie nahm ihren Parka vom Bügel und wartete, bis Lara den Rechner heruntergefahren hatte.
27
Lara beendete das Telefonat mit Mark und sah hinüber zur anderen Straßenseite, wo eine junge Mutter mit hochrotem Gesicht ihren Kinderwagen durch den Schnee schob. Weißer Nebel quoll aus den Gullydeckeln und zerfranste in der Eisluft. Mark hatte ihre Schilderungen auch besorgniserregend gefunden, jedoch zu bedenken gegeben, dass er nicht schon wieder nach Leipzig kommen könne. Am Sonnabend hatten Anna und er Karten für die Oper, und am Sonntag erwarteten sie seine Schwiegereltern zu Besuch. Lara krümmte die Zehen in den Stiefeln und streckte sie wieder. Er hatte ihr jedoch versprochen, ein bisschen herumzustochern und seine Kontakte anzuzapfen.
Die junge Frau mit dem Kinderwagen war inzwischen an der Kreuzung angekommen und wartete, dass die Ampel auf Grün schaltete. Lara betrachtete die Salzränder an ihren Stiefeln. Sie musste wieder nach oben. Für elf Uhr hatte Tom eine außerplanmäßige Redaktionskonferenz einberufen. Es sollte um die seit Monaten angekündigte Umstrukturierung in der Redaktion gehen. Wahrscheinlich bedeutete das
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