Sündige Gier
tot, als die Sanitäter eintrafen. Anzeichen für einen Kampf und für eine tiefe Verletzung. In seinem Torso steckt etwas, das nach einem gewöhnlichen Küchenmesser aussieht.« Ohne einen weiteren Kommentar verschwand er nach draußen.
Derek sah Sanford an. »Billy Duke?«
»Wir wissen es noch nicht mit Sicherheit.«
Graham erhob sich. »Wir wissen so vieles noch nicht. Ms Rutledge, Sie werden mit uns aufs Revier kommen und ein paar Fragen beantworten müssen.«
»Jetzt?«
»Jetzt gleich.«
»Darf ich mich vorher noch sauber machen?«
Graham sah sie nachdenklich an und schränkte dann ein: »Detective Kimball bleibt bei Ihnen.« Zu Kimball sagte er: »Die Kleidungsstücke sind Beweismittel.«
Als Kimball Julie an Derek vorbeiführte, fasste er nach Julies Hand. Sie wirkte verloren und völlig ratlos. Er kämpfte gegen den Drang an, sie in die Arme zu schließen. Es kostete ihn Kraft, seine professionelle Haltung zu bewahren. »Wir sehen uns dort, Ms Rutledge. Kein Wort zu niemandem, solange ich nicht dabei bin. Verstanden?«
Sie nickte und bedankte sich leise und völlig verstört.
Er drückte beruhigend ihre Hand und ließ sie dann los. Die Decke hinter sich herschleifend tappte sie durch den Flur. Als Roberta Kimball an ihm vorbeikam, sah sie ihn mit Argusaugen an und meinte halblaut: »Das wird immer merkwürdiger.«
Damit traf sie den Nagel auf den Kopf.
Eine Stunde später schilderte Julie Sergeant Graham und dem jungen schwarzen Detective, der, jedenfalls in Julies Hörweite, noch kein Wort gesagt hatte, was geschehen war. Sie nahm an, dass der Junge erst vor Kurzem zum Detective ernannt worden war und noch unter Grahams Fittichen stand. Sie wusste, dass Sanford und Kimball im Raum nebenan waren und sie durch den Einwegspiegel beobachteten.
Derek war an ihrer Seite, ein Musterbild professioneller Haltung. Er war schon in der Polizeistation gewesen, als sie mit Graham und seinem Juniorpartner eingetroffen war. Auf der Fahrt von ihrem Haus hierher hatten sie kein Wort gewechselt. Sie nahm an, dass der Detective Derek vom Hörensagen kannte und wusste, was für einen Aufstand er machen würde, falls einer seiner Mandanten zum Reden genötigt wurde, während er nicht dabei war.
Jetzt hantierte der junge Detective kurz an der Videokamera herum und zeigte Graham dann den erhobenen Daumen. Graham nannte Datum, Uhrzeit sowie die Namen aller Anwesenden und bat Julie dann höflich zu schildern, was vorgefallen war.
Sie tat es. Sie erzählte alles, woran sie sich erinnerte, angefangen bei dem Zeitpunkt, zu dem sie das Haus von der Garage aus betreten und festgestellt hatte, dass der Alarm nicht piepte, bis hin zu dem grässlichen Moment, in dem Billy Duke ein letztes Mal am ganzen Leib gezittert hatte und dann reglos liegen geblieben war.
Als sie verstummte, blieb es im Raum sekundenlang völlig still, dann sagte Graham: »Vielen Dank, Ms Rutledge.«
»Meine Mandantin möchte mit der Polizei kooperieren. Wenn das dann alles wäre…«
»Das ist es leider nicht«, sagte Graham zu Derek. Und dann zu ihr: »Mir ist aufgefallen, dass Sie bei Ihrer Schilderung den Namen des Opfers verwendet haben.«
»Man hat mir erklärt, dass er Billy Duke heißt.«
»Wer?«
»Die Detectives Sanford und Kimball.«
»Und er war ein Eindringling, kein Opfer«, ergänzte Derek.
»Das lassen wir erst einmal dahingestellt, Mr Mitchell. Ms Rutledge hatte ein Fleischermesser in der Hand. Billy Duke war unbewaffnet. Und er ist derjenige, der im Leichenschauhaus liegt.«
»Er war unbewaffnet?«, fragte sie.
»Er hatte nicht einmal ein Taschenmesser dabei«, erwiderte der Detective.
»Das wusste ich nicht«, erklärte sie schwach. »Ich dachte…«
»Hat er gedroht, Ihnen wehzutun?«
»Seine Anwesenheit allein stellte für meine Mandantin eine Bedrohung dar.«
»Danke, Mr Mitchell«, sagte der Detective, ohne Julie dabei aus den Augen zu lassen. »Warum haben Sie das Haus nicht wieder verlassen, als die Alarmanlage ausgeschaltet blieb? Warum haben Sie nicht gleich die Polizei gerufen? Sie haben gesagt, Sie hätten gedacht, dass jemand im Haus sei.«
»Ich habe befürchtet, dass jemand im Haus sein könnte, habe ich gesagt.«
»Was macht das für einen Unterschied?«
»Man bildet sich schnell etwas ein, wenn man Angst hat. Ich habe geglaubt, ich würde übertreiben.« Sie blickte auf ihre verschränkten Finger, die sich so fest verklammert hatten, dass die Knöchel weiß leuchteten. »Ich hatte vor einigen Wochen
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