Sündige Seide: Roman (German Edition)
gegangen.«
»Wann?«
»Früher. Gegen Mitternacht.«
»Wie lang?«
»Für fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten.«
»Hat sie mit Ihrem Vater gesprochen?«
»Ich weiß nicht. Ich schwöre es bei Gott.«
»Lassen Sie Gott aus dem Spiel. Schwören Sie es mir.«
Josh fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Ich schwöre Ihnen, daß ich es nicht weiß.«
»Gut. Weiter.«
»Sie hat mir erzählt, daß sie die Noten für ein Stück gesucht hätte. Sie sagt, Daddy hätte geschlafen. Ich habe mir bis zum nächsten Morgen nichts dabei gedacht. Sie hat mich gebeten, Ihnen oder der Polizei nichts davon zu erzählen.«
Cassidys Herz raste, aber er war zu klug, um seine Hoffnungen auf einen Mann zu setzen, der schon eine entscheidende Lüge zugegeben hatte. Hier handelte es sich um Beweise aus zweiter Hand. Vor Gericht würde er damit nicht bestehen. Er hatte immer noch nichts gegen die Witwe in der Hand. Aber das hier würde die Ermittlungen in andere Bahnen lenken und Claire aus dem Kreuzfeuer nehmen. Nach den kärglichen Ergebnissen der letzten Tage kam ihm das wie eine Rekordernte vor.
Er fragte: »Warum haben Sie gelogen, Josh?«
»Ich habe nicht geglaubt, daß das einen Unterschied macht. Ariel wurde fast hysterisch, als sie seine Leiche entdeckte. Es war so, Sie wissen schon, blutig. Ich habe nicht geglaubt, daß sie etwas mit dem Mord zu tun hat.«
»Und was glauben Sie jetzt?«
Josh blieb vor Cassidys Schreibtischkante stehen und schaute ihn an. »Jetzt glaube ich das Gegenteil.«
Cassidy fürchtete sich davor zu schlucken oder zu blinzeln, als könnte Joshua Wildes wacklige Erklärung bei der kleinsten Bewegung in sich zusammenstürzen und sich in nichts auflösen. »Wieso haben Sie Ihre Meinung geändert?«
Josh stand mit sich selbst auf Kriegsfuß. Wenigstens vermittelte er diesen Eindruck. Er wischte sich die feuchten Hände an den Hosenbeinen ab. »Im Gegensatz zu dem, was Ariel in den Medien verbreitet, freut sie sich nicht über die Schwangerschaft. Um genau zu sein, sie ärgert sich schwarz darüber. Sie plant, eine Fehlgeburt zu inszenieren und damit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – sie ist das Baby los und gewinnt noch mehr Sympathisanten.«
Cassidy ließ sich auf das Spiel ein und tat schockiert. »Das klingt nach einem Monster.«
»Sie kennen noch nicht einmal die halbe Wahrheit, Mr. Cassidy. Sie sieht sich als Megastar, dem Millionen Menschen folgen. Sie sollten hören, was sie mit der Stunde für Gott und Gebet vorhat. Es ist wirklich grotesk. Zuallererst möchte sie die Kanzel zu einem Forum für Politiker machen, die zu wichtigen Themen ihre Meinung teilen. Die ersten Gastredner hat sie schon eingeladen. Sie ist ehrgeizig und verrückt und entschlossen, sich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen. Sie hat wirklich jede Verbindung zur Wirklichkeit verloren.«
»Zurück zu dem Mord.«
Josh setzte sich wieder. Er verschränkte die Finger zwischen den Knien und starrte sie beim Sprechen an. »Mein Daddy war ein Tyrann. Er spielte sich jedem gegenüber als Gott auf, auch Ariel und mir gegenüber. Besonders uns beiden gegenüber. Er
schikanierte sie wegen ihres Gewichts, bis sie eine Eßstörung entwickelte.«
»Die Zeitungen haben angedeutet, daß man Bulimie bei ihr diagnostiziert hätte, aber das Krankenhaus in Kansas City hat das nie bestätigt.«
»Es stimmt. Und dieses Baby ist für sie auch einer von Daddys grausamen Streichen. Sehen Sie, es ist, als hätte er sie immer noch in seiner Hand. Ich glaube, sie wußte schon lange vor ihrem Zusammenbruch, daß sie schwanger ist. Ich glaube, sie war wütend auf Daddy, weil er ihr ein Kind aufgezwungen hat, obwohl sie ihm immer wieder gesagt hat, daß sie keines will. Ich glaube, sie hat ihn deswegen ermordet.«
Cassidy beschloß, den Teufelsadvokaten zu spielen und Joshs Anschuldigungen den Boden unter den Füßen wegzuziehen, wie es jeder Verteidiger bei einem so wackligen Fall wie diesem machen würde. »Theoretisch kann das stimmen, Josh, aber trotzdem haben wir keinen Beweis. Haben sich Ihr Vater und Ariel jemals wegen dieser Schwangerschaft gestritten?«
»Nein. Ich habe erst in der Nacht, in der sie in die Notaufnahme gerollt wurde, erfahren, daß sie schwanger ist.«
»Hat sie jemals gedroht, Ihren Vater umzubringen?«
»Nein.«
»Nie?«
»Nein. So etwas hätte er nicht geduldet.«
»Besitzt Ihre Stiefmutter eine Waffe?«
»Nein. Jedenfalls weiß ich von keiner. Aber ihr Bruder sitzt im
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