Sündige Seide: Roman (German Edition)
fuhr mit der Hand durch die Luft, als wollte er die richtigen Worte einfangen, um seine Gedanken auszudrükken. »Ich bin dieser Frau nie zuvor begegnet, aber ich hatte das komische Gefühl, daß ich sie kenne. Oder, um genau zu sein, daß sie mich kennt. Herrgott, ich weiß es nicht. Bei Daddy gingen alle möglichen Leute aus und ein. Vielleicht bin ich ihr einmal über den Weg gelaufen, und nur mein Unterbewußtsein erinnert sich daran.«
Er blieb stehen und drehte sich zu Cassidy um. »Mir ist da eben ein Gedanke gekommen. Vielleicht hat Claire Laurent dieselbe Taktik bei meinem Vater versucht, und als er ihr Geld ablehnte, hat sie ihn abgemurkst. Ist Ihnen der Gedanke schon mal gekommen?«
Ohne darauf zu antworten, stand Cassidy auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich um und warnte ihn: »Josh, wenn Sie mich angelogen haben, komme ich wieder und mach’ Sie fertig. Ich zieh’ Ihnen die Unterlippe über den Schädel, den Rücken runter und stopf’ sie Ihnen in den Arsch.« Er zielte mit dem Zeigefinger auf ihn. »Ich frage Sie noch einmal – sind Sie Claire Laurent schon früher begegnet?«
Josh schluckte sichtbar. »Nein. Ich schwöre es beim Grab meiner Mutter.«
Draußen legte Cassidy sein hartgesottenes Gehabe ab. Es wurde ihm zu anstrengend. Er schlurfte zu seinem Wagen. Müdigkeit legte sich schwer über ihn.
Auf der Fahrt zu seinem Apartment brannten und juckten seine Augen jedesmal, wenn ihn die Scheinwerfer eines Autos blendeten, doch er wußte, sobald er sich zum Schlafen hinlegte, würden sie aufgehen und sich bis zum Morgengrauen nicht mehr schließen.
Müde öffnete er die Tür zu seinem stickigen Wohnzimmer, schaute flüchtig die Post durch und ging dann ins Schlafzimmer. Als er das ausgezehrte Gesicht im Spiegel über dem Waschbekken im Bad betrachtete, wurde ihm klar, warum er sich so
ausgelaugt fühlte wie ein Marathonläufer nach einem Berglauf.
Heute nacht hatte Claire ihm endlich einmal die Wahrheit gesagt, aber dafür war er auf ein weiteres Motiv für sie gestoßen, Jackson Wilde zu ermorden.
Cassidys Besuch hatte Claire zutiefst beunruhigt. Lange nachdem sie die Tür hinter ihm verriegelt hatte, blieb sie dort stehen, den Kopf an das kühle Metall gelehnt. Sie hatte ihr Treffen mit Josh unbedingt geheimgehalten wollen. Von nun an mußte sie doppelt vorsichtig sein. Sie würde kein zweites Mal den Fehler begehen, Mr. Cassidys weitreichenden Arm zu unterschätzen. Er hatte mehr Möglichkeiten als sie. Wahrscheinlich ließ er sie rund um die Uhr von Zivilfahndern beschatten.
Der Gedanke verstörte sie aus mehreren Gründen. Erstens wurde ihre Intimsphäre verletzt. Zweitens war, obwohl Cassidy seine Ermittlungen in eine andere Richtung gelenkt hatte, immer noch jeder verdächtig, der mit French Silk zu tun hatte. Am meisten irritierte sie jedoch, daß ein Mann, mit dem sie intim gewesen war, soviel Macht über sie besaß.
Mit seiner Überheblichkeit entwertete er die Zärtlichkeit und Süße ihrer Liebesnacht. Es war, als würde ein liebloser, unsensibler Mensch durch ein Blumenbeet trampeln. Die Blumen waren immer noch da, aber ihre Schönheit war unwiderruflich dahin. Deprimiert löste sie sich von der Tür und ging zum Lastenaufzug. Im Näherkommen hörte sie, wie er klappernd abwärts fuhr. Sie sah Yasmine hinter den metallenen Falttüren, als er im Erdgeschoß anhielt. »Hallo«, sagte sie, bemüht, ihre Stimme fröhlicher klingen zu lassen, als sie sich fühlte. Leider stimmte Yasmines Anblick sie keineswegs froh. Auch sie machte ihr Sorgen. »Gehst du heute abend wieder aus?«
»Ja, eine Weile.«
»Soll ich mitkommen? Ich würde gern ausgehen. Ich könnte Harry anrufen, damit sie auf Mama aufpaßt.«
Yasmine schüttelte ablehnend den Kopf. »Tut mir leid, Claire, aber ich habe schon was vor.«
Claire lächelte tapfer. »Es freut mich, daß du wieder unter Leute gehst. Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«
»Das wäre nicht nötig gewesen. Es hat sich alles geregelt.«
»Gut. Das habe ich gehofft. Brauchst du meinen Wagen?«
»Nein danke. Ich nehme ein Taxi.«
Weil sie nicht aufdringlich wirken wollte, fragte Claire nicht, wohin sie ging und was sie vorhatte. Yasmines Kleidung gab ihr keinen Aufschluß. Sie trug ein konservatives, schlichtes Seidenkleid. Das Melonengrün brachte ihr Gesicht zum Leuchten. Das Haar hatte sie an der Luft trocknen lassen, so daß es ihren Kopf mit glänzenden, ebenholzschwarzen Locken umgab. Große Goldteller hingen an
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