Sündige Seide: Roman (German Edition)
Freundinnen wanderten durch das Viertel, ein Trio gutaussehender junger Frauen, deren reife, junge Körper gar nicht zu den strengen Schuluniformen paßten. Die schlanken Fesseln schienen eher für hohe Absätze und Seidenstrümpfe als für die verhaßten Schnallenschuhe und Wadenstrümpfe geschaffen zu sein.
Sie kamen auf den Jackson Square und blieben stehen, um mit einem Straßenkünstler zu flirten, der gelangweilt den Touristen seine Bilder darbot. Unter den ausgestellten Werken stach ein koloriertes Kohleporträt Marilyn Monroes hervor.
»Wahrscheinlich hat er noch ein Nacktbild von ihr«, erklärte Lisbet wissend. »Er hat es in seinem schmutzigen kleinen Rattenloch versteckt. Nachts holt er es raus, schaut es sich an und wichst dabei.«
»Glaubst du, irgendwann wird einmal ein Mann vor meinem Bild wichsen?« fragte Alice sehnsüchtig.
»Du solltest diese Woche lieber zweimal zum Beichten gehen«, sagte Lisbet. »Du hast nur Sex im Kopf.«
»Ich? Du bist doch unser wandelndes Sexlexikon. Wenigstens hältst du dich dafür.«
»Ich habe einfach mehr mitbekommen als du. Ich habe meinen Bruder gesehen –«
»Da ist er wieder.«
Mary Catherines ruhige Bemerkung ließ die beiden anderen Mädchen stehenbleiben. Sie folgten ihrem andächtigen Blick zu der Statue Andrew Jacksons in der Mitte des Platzes. Genauer gesagt, zu dem jungen Mann, der ein paar Passanten, einem schlafenden Penner und einer Schar Tauben eine feurige Predigt hielt.
»Der Herr ist eurer Sünden müde«, verkündete er und schlug dabei auf die zerlesene Bibel in seiner Hand. »Er schaut herab auf unsere Erde und sieht, wie wir lügen und betrügen, trinken und kopulieren –«
»Das ist ein anderes Wort für ficken«, klärte Lisbet Mary Catherine flüsternd auf.
Ungeduldig wimmelte Mary Catherine sie ab. Sie fühlte sich zu dem jungen Prediger hingezogen, nicht so sehr seiner Botschaft wegen, sondern vor allem wegen der Leidenschaft, mit der er sie verkündete.
»Der Tag des Gerichts ist nah, Ladies und Gentlemen. Der Herr wird nicht mehr lange zusehen, wie wir uns versündigen.« Er zupfte ein Taschentuch aus der Brusttasche seines speckigen marineblauen Anzugs und wischte sich damit über die Stirn, auf der unter einer dunkelblonden Haarlocke Schweißperlen standen.
»Ich weine, damit die Sünder errettet werden.« Er biß die Zähne zusammen, schloß die Augen, warf den Kopf zurück und flehte den Himmel an: »Herr, unser Gott, öffne ihnen die Augen. Liebster Jesus, sei barmherzig zu den Schwachen. Gib ihnen die Kraft, Satans Versuchungen und Listen zu widerstehen.«
Die Mädchen betraten die umzäunte Mitte des Platzes, um besser sehen zu können. »Irgendwie ist er süß«, sagte Lisbet.
»Findest du?« Alice musterte den Prediger kritisch.
»Ja.«
Lisbet drehte sich zu Mary Catherine um, die den Straßenprediger hingerissen anhimmelte. »Hmmm. Ich glaube, Mary Catherine ist verknallt, Alice.«
Sie wurde rot. »Ich habe ihn hier schon öfter gesehen. Letzten Samstag frühstückte ich mit meinem Daddy im Cafe du Monde. Da war er auch hier. Aber ihm haben mehr Leute zugehört. Manchen hat er die Hand aufgelegt.«
»Worauf?« fragte Alice und drängte sich näher an Mary Catherine.
»Auf ihren Kopf, Dummkopf«, erklärte Lisbet verächtlich. »Er hat sie doch auf ihren Kopf gelegt, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Mary Catherine. »Wenn er dich errettet, legt er seine Hand auf deinen Kopf, damit du den Heiligen Geist empfängst.«
»Lassen wir uns erretten«, schlug Lisbet begeistert vor.
»Wir sind doch schon errettet.« Plötzlich schien Alice zu zweifeln. »Oder nicht?«
»Natürlich sind wir es. Wir sind getauft. Wir gehen zur Messe. Aber das weiß er nicht.« Lisbet wandte sich an Mary Catherine.
»Laß dich erretten.«
»Au ja!« stimmte Alice zu. »Wir schauen zu. Mach schon.«
»Nein!«
»Feigling.«
Der Prediger lud jeden in Hörweite ein, seine Hand zu nehmen, was hieße, Jesus’ Hand zu nehmen. »Liebe Brüder und Schwestern, ihr wollt doch nicht in die Hölle kommen, oder?«
»Du willst doch nicht in die Hölle kommen, Mary Catherine«, sagte Alice ernsthaft. »Mach schon. Schließlich schaut er dich an.«
»Tut er nicht. Er schaut uns alle an.«
»Er schaut dich an. Vielleicht sieht er, daß du eine echte Sünderin bist. Laß dich erretten.« Lisbet schubste ihre Freundin vor. Mary Catherine zögerte, aber auf ihr unbegreifliche Weise
fühlte sie sich von der beschwörenden Stimme des jungen
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