Sündige Seide: Roman (German Edition)
stellte die Tasse wieder auf der Untertasse ab. Das leise Klappern von Porzellan auf Porzellan war das einzige Geräusch im Raum. Die indirekte Beleuchtung, die dunkle Täfelung und die weichen Teppiche schufen eine gedämpfte Atmosphäre ähnlich jener in dem Bestattungsunternehmen, in dem Jackson Wildes versiegelter Sarg zwei Tage lang aufgebahrt worden war. Am Konferenztisch wartete man mit angehaltenem Atem darauf, daß die Witwe zu sprechen begann, voller Mitleid und ängstlich darauf bedacht, sich seine Befürchtungen nicht anmerken zu lassen.
»Gentlemen, zunächst möchte ich jedem einzelnen unter Ihnen, allen gemeinsam und ganz besonders Josh dafür danken, daß Sie mir in diesen dunklen, schweren Tagen nach Jacksons Tod beigestanden haben. Sie machen ihm alle Ehre. Sie haben mir geholfen, als wäre . . .« Überwältigt von ihren Gefühlen tupfte sie sich die Augen und ließ die Tränen für sich sprechen.
Nachdem sie die Fassung wiedergefunden hatte, fuhr sie fort: »Als Jackson noch unter uns war, erwartete er von Ihnen, daß Sie sich hundertprozentig für ihn und für Ihre Arbeit im Dienst des Herrn einsetzen. Sie haben das auch nach seinem Ableben getan. Ich weiß, daß ich für ihn spreche, wenn ich Ihnen sage, daß ich stolz auf Sie bin.«
Sie lächelte einen nach dem anderen an und nahm noch einen Schluck Tee, bevor sie auf das eigentliche Thema zu sprechen kam.
»Niemand von uns konnte Jackson tragisches Hinscheiden vorhersehen. Dieser Schlag traf uns vollkommen unvorbereitet. Wer hätte auch ahnen sollen, daß ein Wahnsinniger Gottes wirksamsten Herold verstummen läßt?«
Ein paar gemurmelte Amen waren zu hören.
»Der Teufel hofft, daß wir aufgeben und uns zurückziehen und unter der Last unserer Trauer zusammenbrechen. Er glaubt, daß er uns alle zum Schweigen gebracht hat, indem er Jackson zum Schweigen gebracht hat.« Sie machte die einstudierte rhetorische Pause. »Aber der Teufel hat uns unterschätzt. Wir werden uns nicht einschüchtern und zum Verstummen bringen lassen. Die Missionsarbeit Jackson Wildes wird fortgesetzt werden!«
Ein Dutzend dunkel bewesteter Leiber entspannte sich. Der Druck wich wie Dampf aus einem Wasserkessel. Seufzer der Erleichterung waren zu ahnen oder gar zu hören.
Ariel konnte sich ein Siegeslächeln kaum verkneifen. Jetzt hatte sie sie in der Hand. Sie hielten sich vielleicht für Männer Gottes. Bestimmt glaubten ein paar von ihnen tatsächlich an ihre Mission. Aber vor allem waren sie Männer und hatten Schwächen wie jeder Abkömmling Adams. Sie hatten um ihre Zukunft
gefürchtet und um ein Wunder gebetet. Sie hatte ihnen eins geschenkt.
Natürlich gab es immer mindestens einen Skeptiker.
»Wie denn, Ariel?« fragte der ungläubige Thomas. »Ich meine, wie sollen wir ohne Jackson weitermachen? Wer soll denn predigen?«
»Ich.«
Alle starrten sie entgeistert und voller Zweifel an. Sie schüttelte knapp den Kopf, so daß ihr das platinblonde Haar über die Schultern wehte. Es war eine Geste, die Entschlossenheit und Zuversicht ausdrückte.
»Ich – das heißt wir . . . wir dachten daran, uns einen neuen Prediger zu suchen.«
»Dann haben Sie eben falsch gedacht«, antwortete sie honigsüß.
»Deshalb habe ich Sie zusammengerufen. Damit ich Ihnen allen meine Pläne erklären kann, ohne mich unnötig zu wiederholen.«
Sie faltete ihre Hände über der Tischkante. Plötzlich wirkte sie keineswegs mehr zerbrechlich, sondern unglaublich vital.
»Unsere Anhänger werden wissen wollen, was ich nach Jacksons Tod empfinde. Er starb vollkommen unerwartet und eines gewaltsamen Todes. Das gibt Material für mindestens ein Dutzend Predigten. Und wer eignet sich besser dazu, diese Predigten zu halten, als seine Witwe?«
Die Vorstandsmitglieder schauten einander verblüfft und sprachlos an.
»Bruder Williams hat Jacksons Predigten geschrieben. Von nun an wird er meine schreiben«, erklärte sie und nickte dem Mann zu, der zwischen den anderen links von ihr am Tisch saß.
Er räusperte sich betreten, sagte aber nichts.
»Wir werden den Mord an Jackson allmählich aus unseren Predigten nehmen und uns anderen Themen zuwenden. Wir werden Jacksons Kampagne gegen die Pornografie fortsetzen, die inzwischen zum Markenzeichen unserer Missionsgesellschaft geworden ist. Ich werde weiterhin singen, und Josh wird weiterhin Klavier spielen. Ab und zu werden wir Gastprediger
einladen, aber schließlich schalten die Menschen Woche für Woche den Fernseher ein, um
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