Sündige Seide: Roman (German Edition)
das nicht.« Der Chauffeur kam um den Wagen und öffnete ihr den Schlag. »Ich würde mich für dich freuen, wenn du bei der Missionsgesellschaft
bleibst. Aber wenn du gehst, wird das für mich nichts ändern.«
Sie hatte schon einen Fuß auf das Pflaster gestellt, als sie sich noch einmal umdrehte. »Gutaussehende Klavierspieler gibt’s wie Sand am Meer, Josh. Und Liebhaber auch.«
Als er das Fairmont-Hotel betrat, war Cassidy nervös, gereizt und naß. Er hatte einen Häuserblock entfernt geparkt und durch eine Sintflut laufen müssen. Auf dem Weg zur Bar zog er den Trenchcoat aus und schüttelte die Tropfen ab, dann fuhr er sich mit den Fingern durch das nasse Haar.
Er hatte den Regen so satt. Seit Tagen wurde New Orleans überflutet. Das Wetter war auch in Nashville nicht besser gewesen, wo er auf Jackson Wildes Beerdigung gewesen war.
»Nur einen Kaffee, bitte«, sagte er der Bedienung, die seine Bestellung aufnehmen wollte.
»Norma’ oder Nawlins?« fragte sie in breitem Dialekt.
»New Orleans. Schwarz.« Am liebsten hätte er sich das Koffein injiziert; er schlief nachts sowieso kaum mehr, also wozu aufpassen? Er schaute auf die Uhr. Noch zwölf Minuten, bis Andre Philippi zur Arbeit kam. Aus gutunterrichteten Kreisen wußte Cassidy, daß man die Uhr nach dem Nachtmanager stellen konnte.
Inzwischen trank er das kochendheiße Gebräu, das ihm die Bedienung gebracht hatte. Endlich hatte er eine Spur. Das hoffte er wenigstens. Er mußte endlich etwas vorweisen können. Crowder wurde ungeduldig. Um ein Haar hätte er Cassidy nicht nach Nashville fliegen lassen. »Wie kommen Sie darauf, daß Sie den Mörder da oben finden können, wenn Sie ihn hier nicht finden? Ich kann die Ausgaben nicht rechtfertigen. Soll doch das NOPD jemand hinschicken.«
»Glenn gibt selbst zu, daß er nicht gut mit Leuten umgehen kann. Vor allem nicht mit solchen Leuten. Lassen Sie mich hochfliegen, Tony. Vielleicht schnapp’ ich ein paar Schwingungen auf.«
Er hatte Crowder gepiesackt, bis er schließlich den Flug nach
Nashville in der Tasche hatte. »Ich glaube trotzdem, diese Reise ist für die Katz.«
»Vielleicht, aber hier trete ich auf der Stelle.«
»Vergessen Sie nicht, daß Sie auf Staatskosten reisen«, hatte ihm Crowder beim Hinausgehen noch nachgerufen.
Leider hatte Crowder recht behalten. Die Reise war reine Zeitverschwendung gewesen. Tausende hatten dem Begräbnis des Predigers beigewohnt. Es hatte eine Atmosphäre wie beim Karneval geherrscht. Neugierige, trauernde Jünger und Medien aus aller Welt hatten einen Blick auf den in rot-weiß-blaues Flaggentuch gehüllten und blumenüberhäuften Sarg werfen wollen.
Cassidys Referenzen hatten ihm einen Platz in der Nähe des inneren Kreises eingebracht, der aus Wildes Partnern und Vertrauten bestand. Wenn einer unter ihnen der Mörder war, dann war er oder sie ein ausgezeichneter Schauspieler, denn alle schauten so trostlos drein, als hätten sie das letzte Rettungsboot verpaßt. Keiner wirkte fröhlich oder auch nur erleichtert. Außerdem – was für ein Motiv hätte jemand innerhalb der Organisation gehabt, Wilde umzulegen? Er war ihnen nur von Nutzen gewesen, solange er im Fernsehen gepredigt, seine Kreuzzüge geführt und die Liebesgaben eingestrichen hatte. Jackson Wilde war ein Unternehmen. Noch der letzte Ministrant erntete Vergünstigungen. Glenns Nachforschungen hatten ergeben, daß Wilde Loyalität großzügig entlohnte.
Ernsthaft verdächtig waren nur Ariel und Joshua. Josh war so gefaßt gewesen, daß es schon an Katatonie grenzte. Ohne zu blinzeln, hatte er auf den Sarg gestarrt. Es war unmöglich zu sagen, ob ihn die ganze Sache zutiefst verstörte, vollkommen gleichgültig ließ oder langweilte.
Die Witwe hatte ebenso fromm wie bemitleidenswert ausgesehen. Jedem, der mit ihr sprach, hatte sie Gottes Segen gewünscht. Sie bat die Menschen zu beten. Cassidy kam sie vor wie ein Schmetterling mit stählernem Rückgrat. Unter der engelsgleichen Hülle steckte eine kalte, harte Frau, der ein Mord zuzutrauen war. Aber er hatte keinen Beweis gegen sie in der
Hand. Er konnte ihr die Affäre mit ihrem Stiefsohn nicht nachweisen, und allem Anschein nach hatte sie ihren Mann geliebt und trauerte um ihn.
Vielleicht war die Hauptverdächtige gar nicht auf der Beerdigung. Nach seinem letzten Gespräch mit Claire Laurent hatte er lange mit Detective Glenn über sie gesprochen. Fest stand eines: Sie war eine Lügnerin.
Glenn sprang allerdings immer noch
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