Sündige Seide: Roman (German Edition)
Yasmine ging ohne stehenzubleiben weiter, bis sie an ihrer Zimmertür angelangt war. Sie schloß sie demonstrativ hinter sich, damit Claire nicht auf die Idee kam, ihr nachzulaufen.
In der Abgeschiedenheit ihres Zimmers stiegen ihr die Tränen in die Augen, die sie so lange unterdrückt hatte. Während der nächsten anderthalb Stunden wechselten sich rotglühender Zorn und nachtschwarze Verzweiflung ab. Sie malte sich aus, wie sie Alister vor den Augen seiner Frau langsam und qualvoll tötete, nur um im nächsten Moment davon zu träumen, wie sie ihn liebte, bis alles andere vergessen war.
Erschöpft lag sie auf dem Bett, den Arm über die Augen gelegt. Jemand klopfte leise an die Tür. »Ich will nicht reden, Claire«, rief sie.
»Ich wollte dich nicht stören, aber es ist etwas für dich abgegeben worden.«
»Was?« Sie nahm den Arm runter und setzte sich auf. »Für mich?«
»Ja.«
Barfuß tappte Yasmine an die Tür und öffnete sie einen Spaltbreit. Claire reichte ihr eine lange, dünne, flache Schachtel. Ohne auf Claires mitleidigen Blick einzugehen, nahm sie die Schachtel, dankte ihr und schloß die Tür wieder. Die Schachtel enthielt eine einzelne Sterlingrose in grünem Seidenpapier. Eine perfekte, makellose Blüte aus rauchgrauen bis blauvioletten Blättern. Die Geste war so schön, daß ihr fast das Herz zersprang. Sie preßte die Blume an ihre Brust und warf sich wieder vor Liebeskummer weinend auf das Bett.
Ein paar Minuten später klingelte das Telefon. Sie rollte sich zum Nachttisch und nahm ab. »Ich habe sie eben bekommen«, sagte sie. Ohne daß er ein Wort gesagt hätte, wußte sie, wer der Anrufer war.
»Liebling.«
Der Klang seiner Stimme löste eine neue Tränenflut aus. »Ich dachte, du wärst böse auf mich.«
»Das war ich zuerst auch«, gab er zu. »Aber ich kann dir keinen Vorwurf daraus machen, daß du mir nachspionierst, Yasmine. Ich habe mich wie ein Schwein benommen. Doch der Wahlkampf fordert meine ganze Zeit und Kraft. Ich habe dich vernachlässigt, aber es ging nicht anders . . . ich meine, es tut mir leid. Hab Geduld mit mir, Liebling. Wenn die Wahl vorbei ist, sieht alles anders aus. Das verspreche ich dir.«
»Du und Belle, ihr seht so glücklich zusammen aus, Alister.« Langsam wickelte sie die Telefonschnur um den Finger. Seine Entschuldigung klang aufrichtig, aber ihr ging nicht aus dem Kopf, wie zufrieden er und Belle gewirkt hatten, als sie Hand in Hand vor der Kirche gestanden waren.
»Sie ist wahrscheinlich wirklich glücklich«, sagte er. »Sie ist nicht so leidenschaftlich wie ich, wie wir . Ich glaube, es stört sie gar nicht, daß ich nicht mehr mit ihr schlafe. Sie wollte immer nur einen erfolgreichen Mann und schöne Kinder. Und das hat sie bekommen. Echte Leidenschaft kennt sie nicht. Mein Gott«, stöhnte er, »man kann euch wirklich nicht miteinander vergleichen, Yasmine. Glaub mir.«
»Nein, das kann man nicht. Sie ist deine Frau, ich nicht.«
»Ich wohne mit ihr zusammen«, erwiderte er abfällig. »Mein Herz gehört ihr nicht. Ich wäre so gerne bei dir.«
»Wir treffen uns«, schlug sie eifrig vor.
»Das geht nicht. Diese Scheißhochzeit dauert noch den ganzen Abend. Nach dem Empfang gibt es eine große Party, und danach eine Feier im kleinen Kreis. Ich darf diese Leute nicht vor den Kopf stoßen. Sie haben ungeheuren Einfluß. Drei Viertel des Geldes in Louisiana sind heute abend hier versammelt. Ich habe mich nur kurz weggeschlichen, um dir die Rose zu schikken und dich anzurufen.«
»Ich fahre morgen, Alister.« Sie versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Dann bin ich über eine Woche in Mississippi.«
Nach kurzem Nachdenken sagte er: »Donnerstag nacht. Kannst du einen Abstecher nach New Orleans machen?«
»Ja. Mit dem Auto sind es nur zwei Stunden von Rosesharon. Es wird eine lange Nacht werden, aber ich muß dich einfach sehen.«
»Also Donnerstag.«
Nachdem alles geplant war, erklärte Yasmine atemlos: »Ich kann es kaum erwarten.«
»Ich auch nicht, aber jetzt muß ich los. Belle wird mich langsam vermissen. Das hier ist angeblich nur ein kurzes Geschäftsgespräch.«
»Ich liebe dich, Alister.«
»Oh, da kommt sie schon. Sie winkt mich zu sich. Bis nächsten Donnerstag.«
Ohne sich zu verabschieden, hängte er auf. Mutlos legte Yasmine den Hörer auf die Gabel. Lange saß sie reglos auf der Bettkante und starrte verzweifelt ins Leere. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so verloren gefühlt. Nicht einmal die
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