Suendiger Hauch
vollendeten Diener, bevor ein Lächeln seine Züge erhellte. »Onkel Lucien! Ich habe gehofft, dass du kommst.« Lucien ließ sich auf ein Knie niedersinken, und der Junge warf sich in seine Arme.
»Es ist doch Weihnachten. Natürlich bin ich gekommen.«
Die kleine Mary Jane, in einem Kleidchen aus blassrosa Seide mit einem weiten Reifrock, kam auf wackligen Beinchen ebenfalls auf sie zu. Ihr Haar war von einem wesentlich intensiveren Rotton als der ihrer Mutter. Sie nahm den Finger aus dem Mund, sah Lucien an und begann zu kichern, wobei sie ihre rosafarbenen Lippen zu einem unwiderstehlichen Lächeln kräuselte. Lucien küsste sie auf die Wange und stellte die Anwesenden einander vor.
»Alex und Mary - das ist eure neue Tante Kathryn.«
Kathryns Kopf fuhr zu ihm herum, die Augen vor ungläubigem Staunen weit aufgerissen. Dass er, ein langjähriger Freund der Familie, sie mit der liebevollen Bezeichnung eines Familienmitgliedes bedacht hatte, war seine Sache, doch für sie lagen die Dinge völlig anders. In weniger als einem Jahr würde sie Castle Running verlassen haben, deshalb war es wohl kaum fair den Kindern gegenüber, irgendwelche Bindungen entstehen zu lassen.
Der Marquis lächelte sie an. »Sag etwas, Liebes. Sie fürchten sich, wenn du nur vor ihnen stehst und sie anstarrst.«
Sie begriff, dass er sie mit einem Kosenamen angesprochen hatte, und drohte eine Sekunde lang zu taumeln. Doch dann beugte sie sich hinab und nahm die Hände der beiden Kinder in die ihren.
»Es ist mir ein Vergnügen, euch kennen zu lernen. Euer Onkel Lucien hat mir schon viel von euch erzählt. Ich bin sicher, dass wir gute Freunde werden.«
Alexander sah sie kichernd aus seinen herrlich blauen Augen an, und Kathryn war augenblicklich verloren.
»Wie sein Vater«, neckte Lucien, dem ihr verzauberter Gesichtsausdruck nicht entgangen war. »Gerade einmal vier Jahre alt, und schon verliebt sich jede Frau hoffnungslos in ihn.«
Ebenso wie in dich, dachte Kathryn, als sie bemerkte, dass einige der anwesenden Damen Lucien betrachteten, als wäre er ein schmackhaftes Steak. Verstohlen musterte sie sein markantes Profil und bewunderte die perfekt geformten Konturen seines Gesichts. Ja. Irgendetwas war entschieden anders heute Abend, anders seit dem Augenblick, als sie ihn am Fuß der Treppe hatte stehen sehen.
Vielleicht waren es lediglich die Feiertage, und es hatte nichts mir ihr zu tun. Trotzdem glitt sein Blick wieder und wieder zu ihr, und das nervöse Flattern in ihrem Magen ließ sich nicht mehr beruhigen.
Kathryn spürte, wie etwas an ihrem Rock zerrte, und sah nach unten. »Ich bin fast drei«, sagte Mary, während sie zwei ihrer pummeligen Finger hochhielt.
Lachend nahm Kathryn sie in die Arme. »Ja, das bist du, meine Süße, aber du brauchst keine Angst vor dem Großwerden haben. Die Zeit geht ohnehin so schnell vorbei.«
Mary schenkte ihr ein weiteres Lächeln, bevor sie sich zu ihrem Bruder aufmachte. Kathryns Augen folgten ihr, als sie zwischen den Gästen herumwuselte. Sie musste plötzlich an ein anderes Kind denken, ein Kind, das etwas älter, blond und blauäugig war und das ein einsames Weihnachtsfest mit den Insassen des St. Bart’s verbrachte.
Sie biss sich auf die Unterlippe und wünschte, sie könnte mit Lucien über das Kind sprechen und ihn um Hilfe bitten. Doch ihre Angst war zu groß, dass er sie ihr versagen würde.
»Du tust es schon wieder, Liebes. Du siehst so viel hübscher aus, wenn du deine Stirn nicht in Falten legst.« Er berührte ihr Kinn. »Lass los, Kathryn. Der heutige Abend gehört der Zukunft und nicht der Vergangenheit.«
Sie schluckte und nickte, wohl wissend, dass er Recht hatte. Morgen würde sie sich ihren Problemen widmen, heute war der Abend vor Weihnachten, und sie würde Spaß haben.
Lucien sah seine neue Frau an, während er sie einem kleinen Grüppchen Freunde vorstellte, die Jason eingeladen hatte: Lord und Lady Balfour, der Graf und die Gräfin von Brairwood, Winston Parminter, der berühmte Londoner Rechtsanwalt, und ein halbes Dutzend weiterer Menschen.
Kathryn hatte seinen Rechtsberater Nathaniel Whitley auf Castle Running bereits kennen gelernt und schien ihn sehr zu mögen. Der Earl of Haversham, Velvets Großvater, unterhielt sie mit amüsanten Anekdoten über die Missgeschicke seiner Enkelin und brachte sie damit spontan zum Lachen. Langsam schien sie sich zu entspannen und Freude an dem Abend zu haben, während sie wieder in die Rolle der Aristokratin
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