Suendiger Hauch
zerstören. »Bisher kam hier noch nicht allzu viel Festtagsstimmung auf. Aber vielleicht bringen uns ja die herumtollenden Kinder der Sinclairs ein wenig auf andere Gedanken.«
Kathryn erwiderte sein Lächeln, während ihr Herzschlag sich beschleunigte. »Ich denke, das würde mir gut gefallen.« Es war Jahre her, dass sie die Feiertage genossen hatte. Seit dem Tod ihrer Mutter und ihrer Schwester hatte sich alles geändert. Seit diesem Tag war die Weihnachtszeit mit so vielen traurigen Erinnerungen angefüllt gewesen, dass sie und ihr Vater die Festtage regelrecht gemieden hatten. Seit ihr Vater von ihr gegangen und ihr Onkel und dessen Tochter in Milford Park eingezogen waren, hatten Dunstans ausschweifende Weihnachtsfestivitäten ihr Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung nur noch vergrößert.
»Es ist ja nicht weit«, hörte sie den Marquis sagen, »aber wir müssen früh aufbrechen, wenn wir ankommen wollen, bevor die Kinder zu Bett gebracht werden.«
»Gut. Ich lasse Tante Winnie wissen, um welche Zeit du auf brechen möchtest.«
Er lächelte sie erneut an. »Ich sehe dich dann kurz vor sechs.«
Kathryn nickte, während sie ihm nachsah, wie er sich elegant den Gang hinabbewegte und einen leisen Stich in ihrem Herzen verspürte. Seine Stimmung schien heute anders zu sein als sonst, weniger feindselig, eher dem Mann ähnlich, den sie vor ihrer Hochzeit gekannt hatte. Als er in seinem Arbeitszimmer verschwunden war, wandte Kathryn sich um und eilte nach oben zu Tante Winnie, um mit ihr die passende Abendgarderobe zu besprechen.
Die beiden Frauen waren sehr aufgeregt. Kathryn war noch nie zuvor an einem solch außergewöhnlichen Ort wie dem Heim des Herzogs und der Herzogin von Carlyle gewesen. Außerdem war Weihnachten. Ihr Leben hatte sich verändert, und sie wollte es unbedingt genießen.
Kathryn stand in einem tiefroten Samtkleid mit einem weiten Reifrock und modisch tiefem Ausschnitt, mit Ärmeln, die bis zum Ellbogen eng anlagen und dann weit schwingend mit samtbesetzter Spitze über ihren Handgelenken ausliefen, vor dem Spiegel und betrachtete sich mit einem letzten prüfenden Blick. Sie glättete noch einmal die kastanienbraunen Locken, die Fanny seitlich an ihrem Hals festgesteckt hatte, und befestigte das herzförmige Schönheitspflästerchen an ihrem Mundwinkel, bevor sie sich zur Treppe begab.
Der Marquis stand wartend am unteren Absatz der Treppe. Er sah nach oben, und als er sie sah, trat ein heißer, flackernder Glanz in seine Augen. Sie hatte diesen Blick erst jüngst entdeckt, und er war ihr seitdem immer wieder aufgefallen, doch sie hatte sich gesagt, dass sie ihn wohl missverstanden haben musste.
Wenn er sie gewollt hätte, wäre er wieder in ihr Zimmer gekommen und hätte sie noch einmal geliebt. Und er hätte der Annullierung keinesfalls zugestimmt. Dennoch konnte sie, während sie die Treppe hinabstieg und seinen angebotenen Arm nahm, nicht umhin, den Hunger in seinen Augen zu erkennen, als er sie von oben bis unten musterte, ihre behandschuhte Hand hob und seine Lippen auf ihren Handrücken drückte.
»Du siehst bezaubernd aus.«
Sie befeuchtete ihre Lippen, völlig irritiert von dem silbrigen Glanz in seinen Augen, die sich regelrecht durch ihre Kleidung hindurchzubrennen schienen.
»Danke, Mylord.« Mit lässigem Lächeln betrachtete er sie weiter, und Kathryn fiel auf, dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, als er sich abwandte und wieder zur Treppe sah.
In einem blassblauen, mit Pelz besetzten Seidenkleid, das blonde Haar in Locken auf ihrem Kopf aufgetürmt, sah Winifred Montaine DeWitt aus, als sei sie nur wenige Jahre älter als Kathryn. Mit offenkundigem Stolz und voller Bewunderung sah Lucien sie an. »Zwei von Englands schönsten Frauen begleiten zu dürfen, das macht mich wohl zu einem der glücklichsten Männer der Welt heute Abend.«
Winnies Wangen röteten sich leicht, während sie ihren Blick zwischen Kathryn und ihrem Neffen hin und her schweifen ließ, offenbar zufrieden mit dem, was sie sah, was immer es auch sein mochte. »Ich denke, wir sind die Glücklichen, Mylord. Du stimmst mir doch bestimmt zu, nicht wahr, Liebes?«
Kathryn lächelte, erfüllt von plötzlicher Fröhlichkeit. Sie sah zu Lucien empor und spürte, wie die magischen schwarzen Augen sie regelrecht aufsogen.
Lucien schien sich sehr zu freuen. Sie fragte sich erneut, was seinen Stimmungsumschwung herbeigeführt haben könnte, doch statt zu grübeln, beschloss sie, den Abend
Weitere Kostenlose Bücher