Suendiger Hauch
komme dich heute Abend besuchen«, sagte er. »Ich kenne ein ruhiges, kleines Lokal am Stadtrand, in dem uns niemand erkennen wird.«
»Nein«, sagte Winnie mit fester Stimme. Ihr Herz war so voller Freude, dass es beinahe schmerzte. »So gerne ich dich auch für mich allein hätte, denke ich, würde ich doch lieber ins Theater gehen, sofern dir das recht ist.«
Er verstand, was sie ihm damit sagen wollte, dass sie sich tatsächlich nicht darum kümmerte, was andere Leute dachten. Sein strahlendes Lächeln ließ sie regelrecht schwindlig werden.
»Also dann ins Theater«, sagte er und fügte sich damit in die Tatsache, dass es unwichtig war, ob er ein Mitglied des Adels war oder nicht. »Und danach essen wir noch etwas in einem ruhigen Lokal und unterhalten uns über alte Zeiten.«
»Ja«, sagte sie, ihre Hand noch immer in seiner. »Das wird mir gefallen, Nat. Sogar sehr.« Mehr, als er sich vorstellen konnte, dachte sie. Sehr viel mehr.
Schließlich würden sie beide ihre Chance bekommen, die ihnen vor so langer Zeit genommen worden war. Und dieses Mal würde sich nichts zwischen sie stellen können.
»Au!« Kathryn sog einen Tropfen Blut von ihrer Fingerspitze auf und starrte auf den Kopfkissenbezug, den sie gerade bestickte. Die Stiche waren klein und regelmäßig so wie die, mit denen sie Luciens Arm genäht hatte. Doch die Arbeit an einem Patienten war um so vieles anders als das Besticken eines Stoffes mit bunten Blümchen. Sticken hatte sie noch nie interessiert und würde es wahrscheinlich auch nie tun. Kathryn erschien es ermüdend und langweilig.
Seufzend legte sie das Kissen beiseite. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, ging zum Fenster hinüber und ließ ihren Blick zu dem schmalen gewundenen Fluss schweifen, der sich in Richtung der Wälder zog. Seit dem Tag, als der Marquis sie in dem Cottage vorgefunden hatte, lebten sie in einem Zustand eines fragilen Waffenstillstandes. Während des Tages beschäftigte Lucien sich mit der Verwaltung seiner Ländereien und Güter, während Kathryn nervös und gelangweilt im Haus umherwanderte und sich zu ihrer Arbeit zurücksehnte.
Nachts kam er in ihr Schlafzimmer, und sie vergaß ihre Arbeit und ihre Lernbegierde. Ein langer, leidenschaftlicher Kuss, eine Berührung dieser kundigen, erfahrenen Hände, und Kathryn konnte an nichts anderes mehr denken als an Lucien, an die Lust, die er ihr bereitete, und daran, wie sehr sie ihn begehrte. Erst wenn er sie in den frühen Morgenstunden verließ, konnte sie über die Liebe nachdenken, die sie für ihn empfand, er jedoch nicht für sie, und den quälenden Schmerz, der in ihrem Inneren tobte.
Während des Tages sahen sie sich niemals. Es gab keine Blicke voller warmer Zuneigung, keine liebevollen Worte oder Gesten. Es war, wie sie es befürchtet hatte - er wollte sie, doch darüber hinaus existierte sie praktisch nicht für ihn.
Ihr Herz zog sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen. Sie wollte, dass er sie liebte, dass er sein Leben mit ihr teilte und sie ihr Leben mit ihm teilen konnte. Der Gedanke an die lieblosen Jahre, die vor ihr lagen, ließ sie traurig werden, dennoch war dieser Handel ihrer Ehe eine Tatsache - ein
Handel, den sie sich selbst zuzuschreiben hatte -, und sie konnte nicht leugnen, dass sie den Schutz bekommen hatte, den sie so verzweifelt gebraucht hatte. Sie war von ihrem Onkel befreit, befreit aus der Anstalt - sie könnte das alles ertragen, wenn sie nur ihre Arbeit hätte.
Mit der Hilfe ihrer kleinen Zofe Fanny hatte sie die Pläne des Marquis herausgefunden, ihr Laboratorium aufzulösen und ihre Bemühungen in diese Richtung zu unterbinden. Da sie einige seiner Bediensteten behandelt hatte, waren diese bereit, das Risiko von Luciens Zorn auf sich zu nehmen, indem sie die Gegenstände sorgfältig einpackten und einlagerten, bevor Lucien sie beiseite schaffen lassen konnte.
Jeden Tag musste sie an die Kräuter denken, die sie so sorgfältig eingepflanzt hatte und die nun verkümmern würden, die Arzneien, die sie gewissenhaft zusammengestellt hatte und die nun niemandem mehr Gutes tun konnten. Sie hatte die Arbeit ihres Lebens aufgegeben, um den kleinen Michael zu retten, doch die Gewissheit, dass er bald in Sicherheit sein würde, machte dieses Opfer wieder wett.
Und es würde nicht für immer sein, schwor sie sich. Dank der Bemühungen des Marquis würde der Junge am nächsten Morgen aus London anreisen. Sobald Michael in der Sicherheit des Schlosses war, würde sie einen Weg zu
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