Suendiger Hauch
erkannt hatte. Peinlich berührt, weil sie ihn erneut dabei ertappt hatte, dass er sich mit so viel Hingabe dem Kind widmete, hatte sich die dunkle Haut unter seinen hohen Wangenknochen tiefrosa gefärbt.
»Es ist schwierig für einen Jungen seiner Größe, sich richtig auf ein Pferd zu setzen«, hatte er mit grimmiger Miene erklärt. »Eine richtige Ausrüstung ist sehr wichtig.«
»Dessen bin ich mir ganz sicher«, hatte Kathryn geantwortet und sich bemüht, sich ein Grinsen zu verkneifen. Michael hatte den Marquis vollkommen bezaubert. Lucien betete ihn regelrecht an und würde alles für ihn tun.
Also hatten die Stallburschen Blade für Lucien und den kleinen, gescheckten Wallach, den er inzwischen heiß und innig liebte, für Michael gesattelt, und die beiden hatten sich zu ihrem Nachmittagsritt aufgemacht.
Während Kathryn am Fenster stand, fielen ihr wieder die lächelnden Gesichter ein, eines so dunkel und das andere so hell, und sie fühlte, wie sich vor Rührung ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete. Lucien schien neuerdings so verändert, weniger distanziert und viel zugänglicher als früher. Vielleicht lag es an Michael, der auf irgendeine Weise sein Inneres berührte und damit die Mauer durchbrach, die Lucien so sorgsam um seine Gefühle errichtet hatte.
Wäre sie nicht von dieser Ruhelosigkeit erfasst, diesem starken Drang, zu ihrer Arbeit zurückzukehren - ihren Weg zu gehen, der zwangsläufig wieder zu Ärger zwischen ihnen führen würde -, hätte Kathryn sich den Glauben daran gestattet, dass ihre Ehe tatsächlich funktionieren könnte.
Doch es gab keinerlei Möglichkeit für sie, ihren Lebensweg zu ändern. Nicht, solange sie sich so gefangen und nutzlos fühlte. Das Leben als umsorgte Adlige langweilte und frustrierte sie, sie brauchte ihre Studien, ihre Beschäftigung mit der Medizin und der Heilkunde, die so viele Jahre lang ihren Lebensinhalt dargestellt hatte. Sie brauchte die Arbeit, die sie in dem kleinen Cottage verrichtet hatte, und obwohl sie kein Verlangen danach verspürte, tatsächlich als Ärztin zu arbeiten, strebte sie nach einer Möglichkeit, ihr so mühsam erworbenes Wissen in irgendeiner Art und Weise anzuwenden.
Mit diesem Gedanken wandte sich Kathryn vom Fenster ab, um die letzten Gegenstände, die sie für die Reise brauchte, in ihrem Koffer zu verstauen. Sie hatte Silas Cunningham bereits in einem Brief Luciens Reisepläne mitgeteilt, und alles war vorbereitet. Jedes Jahr um diese Zeit, so hatte ihr der Marquis erklärt, verbrachte er eine ganze Woche bei seinem Rechtsberater, um mit ihm die Bücher durchzugehen, die Gewinne und Verluste zu erarbeiten und die Planung für das kommende Jahr zu machen.
»Du kannst mich gerne begleiten«, hatte er gesagt. »In der Tat würde ich mich über deine Gesellschaft sehr freuen, ob-wohl ich leider sehr viel zu tun habe. Wir haben so wenig Gelegenheit, Zeit miteinander zu verbringen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir ein paar Wochen in London blieben und nur einen Teil der Saison hier verbringen würden. Das Gerede um uns hat uns zwar zu Anfang ein paar Schwierigkeiten bereitet, aber inzwischen bist du die Marquise of Litchfield, und es wird nicht allzu lange dauern, bis sie dich in ihren Kreisen aufgenommen haben.«
Ihr Ehemann würde das Schloss verlassen. Kathryn erkannte sofort die Chance, nach der sie so lange gesucht hatte, und stürzte sich gierig darauf. »Ich wäre während der Saison lieber im Schloss, wenn es dir nichts ausmacht. Es wird Zeit, dass ich mich aus meinem Versteck wage und dem Skandal um unsere Heirat ein für allemal ein Ende setze. Früher oder später werden wir Kinder haben, deshalb sollten wir überlegen, was das Beste für sie ist.«
Der Gedanke an Kinder ließ ein Lächeln über seine Züge gleiten, genau so wie sie es vorgehabt hatte. »Dann kümmere ich mich um unsere Rückkehr in die Gesellschaft, während ich in London bin.« Er nahm ihre Hand und drückte einen Kuss in ihre Handfläche. Als sie einen Augenblick lang in diese leidenschaftlichen, dunklen Augen sah, ertappte sie sich dabei, dass sie sich wünschte, ihn tatsächlich begleiten zu können.
Während sie nun die letzten Kleidungsstücke in den Koffer packte, ihn verschloss und nach einem Lakaien klingelte, der ihn nach unten tragen sollte, dachte sie an ihren Ehemann. Sie verließ das Schloss mit gemischten Gefühlen. Ein Teil von ihr freute sich unbändig darauf, mit dem Doktor gemeinsam zu studieren und zu arbeiten, während
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