Suendiger Hauch
dem anderen Teil schmerzlich bewusst war, wie sehr ihr Ehemann ihr Verhalten missbilligen würde, falls er es entdecken würde.
Wenn es nur einen Weg gäbe, dass er sie verstehen könnte.
Doch Kathryn wusste, dass es keinen Weg gab.
Ein entferntes Donnergrollen hallte in der Eingangshalle wider und ließ den kristallenen Lüster über ihrem Kopf erbeben. Ein schwacher Blitz erhellte einen Augenblick lang den Himmel, doch er war noch meilenweit entfernt, und der Regen hatte noch nicht eingesetzt. Die Reise nach Guildford würde den größten Teil des Tages in Anspruch nehmen, doch die Straßen waren noch immer frei, und sie würden vor dem Sturm davonfahren.
»Die Kutsche wartet, Mylady, wie Sie es gewünscht haben.« Reeves sah sie mit einem Anflug von Missbilligung an. Es war offensichtlich, dass sie die Reise nicht mit ihrem Ehemann abgesprochen hatte, da er sie ihm gegenüber nicht erwähnt hatte. Und obwohl der Butler Kathryn großen Respekt entgegenbrachte, war seine Loyalität dem Marquis gegenüber dennoch stärker. »Was soll ich sagen, wann Sie zurückkommen, sollte Seine Lordschaft inzwischen eintreffen?«
»Ich werde zurück sein, bevor er wieder hier ist.«
»Und wenn es nötig ist, dass er Sie erreicht?«
Kathryn biss auf ihre Lippe. Sie wollte schon zu einer Lüge ansetzen, doch ihr Gewissen hielt sie davon ab. Sie tat nichts Unrechtes, sondern besuchte lediglich für ein paar Tage einen alten Freund und dessen Frau. »Ich bin in Guildford. Ich habe einen Bekannten dort, einen Arzt namens Silas Cunningham. Ich wohne bei ihm und seiner Frau.«
Reeves nickte kurz und schien zufrieden zu sein. »Ich wünsche Ihnen eine gute Reise, Mylady«
»Danke, Reeves.« Sie stand ruhig da, während er einen warmen Wollumhang um ihre Schultern legte. Dann ging sie die Stufen hinab zur Kutsche, die vor dem Haus wartete. Es war ein bequemes Gefährt, wenn auch nicht ganz so luxuriös wie die Reisekutsche des Marquis. Doch immerhin war sie behaglich und würde sie sicherlich einigermaßen bequem nach Guildford bringen.
Es dauerte fast den ganzen Tag, bis sie das geschäftige, doch bescheidene Dorf erreichte, das an der nordwärts nach London führenden Straße lag. Wie der Doktor ihr gesagt hatte, durchquerten sie das Städtchen und fuhren bis zu seinem nördlichen Rand, wo Silas und Margaret in einem hübschen, zweistöckigen Gutshaus aus Stein lebten.
Als die Kutsche vor dem Haus zum Stehen kam, traten ihre beiden Freunde aus der Tür auf die Veranda, um sie zu begrüßen. Silas trug wie üblich seine silberfarbene Perücke und knöpfte seine Weste über seinem ausladenden Bauch zu. Margaret war zwar kleiner, aber nicht minder kräftig als ihr Mann, und trug ihr Haar in einem straffen Knoten im Nacken. Ihre Kinder waren, wie Kathryn erfuhr, in einem Internat und -wie Kathryn vermutet hatte - ausgezeichnete Schüler.
Die beiden schienen sich über ihr Kommen sehr zu freuen und schoben Kathryn in das Haus und die Stufen hinauf in ihr Schlafzimmer, das zwar einfach, aber makellos sauber war. Auf dem Bett lag eine hellblaue Tagesdecke, und an den Fenstern hingen blaue, geraffte Vorhänge.
Nach dem Abendessen, das aus Hasenbraten und Wildpastete bestand, hatte sie zum ersten Mal Gelegenheit, mit Silas über seine Arbeit zu sprechen. Margaret lächelte freundlich, während die beiden sich angeregt über Themen ausließen, von denen sie zwar kein Wort verstand, ihren Gast und ihren Gatten jedoch ganz offensichtlich völlig in ihren Bann zu ziehen schienen.
»Sie werden morgen erst ins College gehen können, nachdem der Unterricht beendet ist«, sagte Silas. »Doch in der Zwischenzeit habe ich einige Texte für Sie vorbereitet, die Sie lesen können. Sie können zu mir kommen, wenn die Studenten gegangen sind, und dann kann ich Ihnen einiges von unserer derzeitigen Arbeit zeigen.«
Kathryn stimmte voll freudiger Erwartung zu. »Ich habe mich so auf all das gefreut. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, was es bedeutet, sich mit dem einzigen Thema, das einen wirklich interessiert, gezwungenermaßen nicht beschäftigen zu dürfen.«
Er nickte mit ernster Miene. »Ich glaube, ich kann es mir vorstellen. Bei Ihnen ist das Lernen wie eine brennende Flamme in Ihrem Inneren, die niemals gelöscht werden kann.«
Angesichts dieser Beschreibung musste sie lächeln, dankbar, dass es zumindest einen Menschen gab, der sie zu verstehen schien. »Ich habe eine Liste mit Fragen zusammengestellt. Ich hoffe, dass wir uns
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