Suendiger Hauch
Hartman nicht, zumindest glaubte sie es nicht. Kein Mann, der eine andere Frau liebte, wäre zu einem so leidenschaftlichen Kuss in der Lage, wie seiner es am Abend zuvor gewesen war.
Und selbst wenn er Lady Allison lieben würde, wäre Kathryn in weniger als einem Jahr einundzwanzig, und damit würde sie auch ohne die Zustimmung ihres Onkels heiraten können. Lucien könnte für eine Annullierung der Ehe sorgen, und jeder von ihnen könnte daraufhin den Partner seiner Wahl heiraten. Und mit Hilfe des Erbes, das sie besaß, würde Kathryn sicherlich einen passenden Mann finden, der bereit wäre, sie zur Frau zu nehmen.
Trotzdem war der Plan ausgesprochen kompliziert, und ein Dutzend Dinge könnten schief gehen, und sie betete, dass dies nicht der Fall sein würde.
Vor ihrem inneren Auge tauchte ein Bild von Lucien auf, wie er eine seiner Schimpftiraden von sich gab, und ein Gefühl der Angst griff nach ihrem Herzen. Er würde wütend sein, geradezu außer sich vor Zorn. Doch sobald die Hochzeit vorüber war, würde sie sicherlich einen Weg finden, um ihn dazu zu bringen, ihr zu verzeihen. Ganz bestimmt würde er ihr vergeben, wenn ihm klar geworden war, dass er in weniger als einem Jahr in die Normalität seines sorgfältig geplanten Lebens würde zurückkehren können.
In der Zwischenzeit blieb ihr nichts weiter zu tun, als den Marquis in der Nacht des 20. November in die Hütte zu locken. Sobald er hier war, würde sie sich etwas einfallen lassen, um ihn zu verführen - oder zumindest so weit zu bringen, dass ihrer beider Anblick überzeugend genug sein würde.
Ein seltsamer Schauer lief ihr den Rücken hinunter, doch Kathryn sagte sich, dass es Angst war und nicht die freudige Erwartung eines neuerliches Zusammentreffens.
Douglas Roth, Earl of Dunstan, stand hinter seinem Schreibtisch und las erneut die Mitteilung, die der Bischof ihm ausgehändigt hatte.
Ich schreibe Ihnen, Bischof Tallman, da ich weiß, dass Sie ein langjähriger Freund des Earl of Milford waren. Sollten Sie Lady Kathryn Grayson helfen wollen, bringen Sie ihren Onkel, Lord Dunstan, in der Nacht des 20. November in das kleine Dorf Gorsham. Südlich davon, im Wealdon Forest, liegt eine kleine abgeschiedene Hütte, etwa eine halbe Meile entlang der Straße, die aus dem Dorf führt. Sie werden sie dort genau um zehn Uhr mit dem Mann finden, der für ihre Entführung verantwortlich ist. In Erinnerung an die Freundschaft, die Sie einst mit ihrem Vater verband, sorgen Sie dafür, dass Dunstan sie nicht ohne Begleitung sucht.
Er betrachtete aufmerksam die geschwungene, leicht unregelmäßige Schrift und fragte sich, wer den Brief geschrieben haben mochte, obwohl es ihn in Wahrheit nicht kümmerte. Denn was zählte, war, dass sich seine anhaltende Suche am Ende doch ausgezahlt hatte. In nur wenigen Tagen würde seine Nichte, die ihm so viel Ärger bereitet hatte, wieder ins St. Bart’s zurückgebracht werden. Sobald er sie gefunden hatte, würde er mit ihr so zu verfahren wissen, dass seine Probleme mit ihr ein für allemal gelöst und seine Interessen wieder gewahrt sein würden.
»Was denken Sie, Mylord?« Bischof Tallman, ein stattlicher Mann mit eisgrauem Haar, erhob sich von seinem Stuhl gegenüber des Schreibtisches und legte die Handflächen auf die Schreibtischplatte. Unter dem dichten Venengeflecht seiner schmalen, eleganten Hände waren die Knochen deutlich sichtbar.
Douglas lächelte. »Ich glaube, Sie haben mir einen großen
Dienst erwiesen, indem Sie mir diesen Brief überbrachten. Sie können sich vorstellen, dass ich mir große Sorgen um Kathryns Sicherheit mache.«
»Dann möchten Sie mich also begleiten, so wie es in dem Brief steht?«
»Sie begleiten? Es besteht sicherlich keinerlei Anlass, Sie mit derartigen Angelegenheiten noch länger zu belasten. Ich reise innerhalb der nächsten Stunde mit einer Hand voll Männern ab und -«
»Ich werde fahren, und wir werden uns so verhalten, wie es in der Nachricht steht. Dies ist die beste Möglichkeit für uns, Lady Kathryn zu finden. Lord Milton war ein enger Freund von mir, und ich habe einige schlaflose Nächte damit verbracht, mich mit Ihrer Idee, Lady Kathryn ins St. Bart’s einzuweisen, anzufreunden. Ich weiß, Sie hatten Ihre Gründe, und unter den gegebenen Umständen habe ich mich auch nicht gegen diese gestellt. Doch ich bin es einem alten Freund schuldig, mein Bestes für seine Tochter zu tun. Deshalb werden wir so vorgehen, wie es in dem Brief verlangt
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