Suendiger Hauch
wurde, fiel das Licht schmerzhaft in seine Augen und ließ ihn zusammenzucken. Einen Augenblick lang geblendet, wäre er fast mit Kathryn zusammengestoßen, die im selben Moment eintrat.
Sie stieß einen kurzen Schrei aus, als er sie bei den Schultern packte und auffing, bevor sie fallen konnte, und ihr Gesicht wurde ein wenig blass. »Mylord, ich habe nicht damit gerechnet, Sie zu sehen. Sie stehen doch sonst meist so früh auf.« Die Haut unter ihren geröteten und geschwollenen Augen war von einem leicht violetten Farbton. Unwillkürlich war sie wieder zu einer förmlicheren Anrede übergegangen.
Ein Anflug von Schuld wallte in ihm auf, doch da war auch noch etwas anderes, das er jedoch nicht benennen konnte. Sie sah so zerbrechlich aus, wie er sie noch nie gesehen hatte, und als er sich wieder an den gestrigen Abend erinnerte, konnte er kaum glauben, was er um ein Haar getan hätte.
Er räusperte sich unbehaglich. »Ja, nun, es war nicht die beste aller Nächte. Ich fürchte, ich habe nicht viel geschlafen.«
»Ich ebenfalls nicht«, gab sie sanft zurück und wich seinem Blick aus. »Vielleicht wird es heute Abend besser.«
Tiefe Reue überkam ihn. Er war wütend gewesen, das war richtig, aber er hatte sie nicht verletzen wollen. Lucien streckte die Hand aus, berührte ihr Kinn und drehte es zu sich. Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht mit den dunklen, fein geschwungenen Brauen und den sinnlichen Lippen voller Unschuld, den traurigen Augen, die voller Unsicherheit auf sein Gesicht gerichtet waren.
»Ja«, sagte er, ebenfalls mit sanfter Stimme. »Ich bin sicher, dass es heute Nacht besser sein wird.«
Er dachte, dass seine zuversichtlichen Worte ihr ein Lächeln entlocken würden, doch sie reagierte nicht. In seinen Gedan-ken entstand das Bild der Kathryn, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. Kathryn in ihrem heruntergekommenen, zerschlissenen Nachthemd, die ihm mit dem Mut und der Gelassenheit einer Dame ihres Standes entgegengeblickt hatte. Kathryn, die ihn darum gebeten hatte, ein Bad nehmen zu dürfen.
Das St. Bart’s hatte sie nicht zerbrechen können. Doch letzte Nacht hätte er es fast getan.
»Der Diener wird uns das Frühstück servieren«, sagte er, wobei er das Bedürfnis unterdrückte, sie tröstend in die Arme zu ziehen und ihre Furcht zu vertreiben. »Warum setzen wir uns nicht und essen etwas?« Sie nickte, obwohl sie sich in seiner Gegenwart noch immer unbehaglich zu fühlen schien. Lucien verfluchte sich selbst aus tiefster Seele. Er war einer Frau gegenüber noch nie grausam gewesen, und selbst die Menge an Alkohol, die er zu sich genommen hatte, war keine Entschuldigung für sein Verhalten.
Es war dieses verdammte Verlangen nach ihr, das er noch immer verspürte. Selbst jetzt, beim Anblick ihrer Hüften, die sich unter ihrem Rock bewegten, während sie durch das Zimmer ging, begann er hart zu werden. Letzte Nacht, als er sie in ihrem zarten, blauen Nachthemd auf dem großen Himmelbett liegen gesehen hatte, hätte er beinahe die Kontrolle über sich verloren. Er bereute seine Brutalität zutiefst, doch zumindest hatte er eine Antwort auf seine Frage bekommen, die ihn die ganze Zeit über gequält hatte.
Als du mich geküsst hast... als du mich berührt hast ...es war Magie. Ihre Worte sickerten wie ein süßer, beruhigender Balsam durch seine Gedanken. Kathryns Leidenschaft war also kein Trick gewesen. Ihre Reaktion auf ihn war so real gewesen wie seine eigene. Sie hatte vielleicht die Verführung vorgetäuscht, aber sie war kein hinterlistiges Luder. Und sie hatte ihn ebenso gewollt wie er sie. Dieses Wissen beruhigte ihn ein wenig und führte dazu, dass er sich weniger wie ein Idiot fühlte, obwohl eine Ehe zwischen ihnen niemals funktionieren würde.
Sie setzten sich und nahmen ein wenig Kakao und süße Gebäckstücke zu sich, wobei dies ohnehin das Einzige war, das Luciens Magen im Augenblick vertrug. »Was haben Sie heute vor?«, fragte er in der Hoffnung, ein wenig seiner Schuld mildern zu können, obwohl er lieber verdammt sein wollte, als sich bei ihr zu entschuldigen.
Sie sah auf, völlig überrascht über seine Bereitschaft, sich mit ihr zu unterhalten. »Ich ... ich bin mir noch nicht sicher. Ich werde eine Weile lesen. Die Herzogin ist zufällig auf einen Text gestoßen, von dem sie glaubte, dass er mir gefallen könnte. Über die Ursachen von Krankheiten von einem Mann namens Morgagni. Sie hat es in der Bibliothek in Carlyle Hall gefunden und war so freundlich,
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