Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
Abend erlebte Emma, dass Mr Brimley einen Schmerzenslaut von sich gab.
»Mr de Guignard!« Emma eilte an Mr Brimleys Seite, riss Tücher aus ihrer Tasche und versuchte, den Blutstrom zu stillen. »Habt Ihr den Verstand verloren? Was habt Ihr nur getan?«
Jean-Pierre untersuchte Brimleys Finger. Dann warf er ihn auf den Tisch. »Dann stimmt es also. Entschuldigt, Miss Chegwidden, dass ich an Euch gezweifelt habe. Und bei Euch, Mr Brimley«, er verbeugte sich leicht, »möchte ich mich für die verursachten Schmerzen entschuldigen. Ich mache nur meine Arbeit.«
Nachdem er die Küche verlassen hatte, sagte Brimley schwach. »Das habe ich auch.«
»Ich würde sagen, Ihr habt Eure Arbeit über die Pflicht hinaus erfüllt«, erklärte Emma ihm. Dann sagte sie an die Köchin gewandt: »Holt ein paar starke Männer. Wir müssen Mr Brimley ins Bett bringen.«
Zu ihrer Überraschung erschienen diese starken, jungen Männer fast augenblicklich. Es waren zum Großteil Gärtner. Dienstmädchen und Lakaien strömten in die Küche. Henrique und Elixabete waren unter ihnen. Bis Emma die Blutung wieder gestillt hatte, war die Küche so voll wie vorhin bei ihrem ersten Erscheinen. Sie wechselte einen verblüfften Blick mit Brimley.
»Wenn Ihr irgendetwas braucht, egal was, dann fragt uns«, sagte die Köchin. Ihre Stimme war heiser und ernst. »Wir werden alles für Euch tun. Es wird uns eine Ehre sein, Euer Leben zu retten, wie Ihr das Leben unseres Helden und unser Land gerettet habt.«
Die Dienstmädchen knicksten gleichzeitig, und die Männer verneigten sich vor Brimley und Emma. Es war eine so aufrichtige Anerkennung, dass Emma nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte.
Zum ersten Mal, seit sie England verlassen hatte, war sie zu Hause.
36
Obwohl Brimley stoisch widersprach, wurde er rasch in sein Schlafzimmer im Gesindetrakt gebracht und auf sein Bett gelegt. Emma nähte seinen Finger wieder an und bandagierte ihn sorgfältig. Dann verabreichte sie ihm ein Schlafpulver und wies Henrique an, dafür zu sorgen, dass jederzeit jemand bei ihm war.
»Wir werden auf ihn aufpassen«, erklärte Henrique. Zum zweiten Mal hörte sie, wie einer der Moricadier sagte: »Er ist jetzt einer von uns.«
»Gut.« Dafür hatte Mr Brimley einen Finger opfern müssen, aber er hatte erreicht, was er wollte. Er hatte sich die Stellung als Anführer der Dienerschaft von Lord Fanchere gesichert.
Auch sie selbst war nicht länger eine Außenseiterin und die Hure des Fürsten. Sie hatte sich ihren Platz erkämpft.
Sie eilte nach unten und wollte sich versichern, dass Jean-Pierre de Guignard das Haus verlassen hatte. Denn wenn er nicht gegangen war, würde sie ihn eigenhändig vor die Tür setzen. Oder ihm einfach einen Tritt in den Hintern geben. Sie war noch nicht sicher, was ihr lieber war.
Doch als sie das Erdgeschoss erreichte, hörte sie männliche Stimmen aus der Bibliothek. Ein dunkles Knurren, das klang, als spreche Jean-Pierre mit …
Aber nein. Das war unmöglich. Denn Michael schlief drüben im Witwensitz. Er war von dem tagelangen Fieber völlig erschöpft und geschwächt. Auf keinen Fall saß er nebenan und plauderte angeregt.
Sie bewegte sich sehr vorsichtig und machte kein Geräusch, als sie zu der Tür schlich und hineinschaute.
Jean-Pierre saß in einem Sessel einem lässig gekleideten und sichtlich gut gelaunten Michael Durant gegenüber, der auf einem langen Sofa Platz genommen hatte.
»Wollt Ihr sie noch einmal sehen?«, sagte Michael gerade. Er schob das Hemd erst von einer Schulter, dann von der anderen. »Seht Ihr? Keine Schusswunden.«
Jean-Pierre schüttelte den Kopf, als könne er das nicht glauben.
Emma erging es ebenso. Immerhin hatte sie Michael in den vergangenen sechs Tagen wiederholt gesehen, und sie wusste, dass er eine üble, rote Wunde zwischen Hals und Schultergelenk hatte. Wo war diese Verwundung jetzt?
»Gibt es noch andere Teile meines Körpers, die Ihr untersuchen möchten?« Michael grinste Jean-Pierre böse an. Er gab den verletzten und wütenden Lord geradezu perfekt. Vielleicht war es auch gar nicht geschauspielert. »Wollt Ihr meine Rippen sehen oder einen Oberschenkel? Ich weiß – ich ziehe die Hose runter und zeige Euch meinen Hintern.«
»Nein. Das wird nicht nötig sein.« Jean-Pierre stand auf. »Ich werde jetzt lieber gehen. Einen schönen Abend noch.«
»Vielen Dank, den werde ich haben.«
Mit nicht annähernd so viel Selbstbewusstsein und Wut wie bei seiner Ankunft ging
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