Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
mit dem Pferd und der Nacht und dieser Wildheit, die ihre Seele durchdrang.
Als sie schließlich kurz vor Morgengrauen zum Stall zurückkehrte, erklärte sie Rubio, sie sei so spät, weil sie sich verloren habe.
Old Nelson hatte die ganze Zeit den Weg nach Hause gekannt. Aber dennoch sagte sie die Wahrheit.
Denn zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich in der Freiheit verloren.
»Sie ist als der Schnitter geritten?« Michael packte Rubios Kragen und starrte ihm tief in die Augen. Er wünschte, Rubio habe beide Arme.
»In den letzten vier Tagen dreimal«, erklärte Rubio sichtlich stolz. »Sie hatte überhaupt keine Probleme.«
Weil er keinen zweiten Arm hatte, konnte Michael ihn nicht zu Brei schlagen, obwohl es genau das war, was er tun wollte. Rubio schlagen.
Er war heute früh mit diesem zwingenden Gefühl aufgewacht, dass irgendetwas nicht stimmte. Emma war in der Nacht nicht zu ihm gekommen, um zu sehen, ob er noch atmete. Als er richtig krank war, war ihre Berührung das Einzige gewesen, was ihn zu beruhigen vermochte. Erst heute Morgen war ihm aufgegangen, dass sie auch in den vergangenen Nächten nicht zu ihm gekommen war. Nur in aller Frühe hatte sie kurz bei ihm vorbeigeschaut, und sie hatte anders gerochen. Nach … Leder. Nach Pferd. Sie roch wie der Schnitter.
Dass erst jetzt alle Puzzleteile an ihren Platz fielen, erstaunte ihn. Wahrscheinlich fühlte er sich erst jetzt gut genug, um sich der Wahrheit zu stellen. Vielleicht hatte etwas an ihren rosigen Wangen und den strahlend funkelnden Augen ihn alarmiert.
Darum hatte er sich eine Hose und ein Hemd angezogen, hatte den Schal um den Hals gewickelt, sich einen Mantel gegriffen und war nach unten in den Stall gegangen, wo Rubio auf ihre Rückkehr wartete.
»Jemand musste doch als Schnitter reiten, solange Ihr verletzt wart. Die Moricadier bekamen Angst, und Jean-Pierre wurde misstrauisch.« Rubio sprach mit großer Überzeugung.
»Sie hätte verletzt werden können.«
»Nein.« Rubio verspottete ihn. »Ihr wisst doch, Old Nelson ist ein vernünftiges Pferd.«
Als könnte das Michaels Zorn auch nur annähernd beruhigen.
»Sie hätte getötet werden können. Die Wachleute des Fürsten suchen nach ihr!«
»Sie hatte nicht einmal annähernd irgendwelche Probleme. Es gab es in den letzten Nächten Sichtungen des Schnitters. Die ausländischen Gäste fliehen aus Moricadia, und es geht das Gerücht, Fürst Sandre sei vor Wut außer sich.« Rubio rüttelte an Michaels Händen. »Könntet Ihr jetzt bitte meinen Kragen loslassen?«
Erschrocken und verblüfft lockerte Michael seinen Griff. Er ging zur Stalltür und schaute nach draußen. Ein schmaler Pfad wand sich durch den Wald. Er wusste, dieser Weg führte zu der Straße, die an den Anwesen der Reichen und dem fürstlichen Palast vorbei nach Tonagra führte.
Er wollte Rubio die Faust ins Gesicht schlagen, weil er Emma zu diesem Wahnsinn ermutigt hatte. Doch noch mehr wollte er Emma nachsetzen. Er wollte sie finden und ihr klarmachen, dass der Platz einer Frau daheim war. Denn sie schien sich der Gefahr gar nicht bewusst zu sein, in die sie sich brachte, wenn sie nachts als Schnitter herumritt, während er sich um sie sorgte wie ein Vater um sein pflichtvergessenes Kind.
Aber er konnte ihr nicht nachsetzen. Old Nelson war das einzige Pferd, zu dem er freien Zugang hatte.
Rubio trat zu ihm. »Sie ist noch jedes Mal vor Einbruch des Tages zurückgekommen und wirkte immer sehr zufrieden. Diese Emma ist ein kluges Mädchen.«
»Es wird schon hell.« Michael wandte sich an Rubio. »Wo steckt sie nun?«
»Ah, keine Ahnung. Tja.« Rubio kratzte seine stoppelige Wange. »Solange Ihr hier seid und Euch so gut fühlt, brauche ich wohl nicht zu bleiben und Miss Chegwidden zu helfen, Old Nelson nach dem Ritt zu versorgen und ihr aus dem Kostüm zu helfen …«
Michael fletschte die Zähne.
Rubio wich langsam zurück. »Also, ich denke, ich schaue mal lieber, was die Köchin für Euch zum Frühstück bereitet hat. Ihr wisst ja, Ihr seid ihr Liebling.«
»Wo ist Emma?«, schrie Michael hinter Rubios hinkender, fliehender Gestalt her.
»Frühstück!«, rief Rubio zurück. »Ihr müsst wieder zu Kräften kommen! Sie braucht auch etwas Ordentliches!«
Verflucht soll er sein! Sie sollen alle verflucht sein! Michael lief in den Stall, dann rannte er wieder nach draußen.
Er hatte seine Rache an Rickie mit viel Sorgfalt geplant, und als er ihn gehängt hatte, hatte er damit Vergeltung geübt für
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