Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
folgen. »Hör mir zu.« Er schlug wild um sich.
Sie hörte, wie etwas auf den Boden knallte. Wasser spritzte, Glas zerbrach. Sie drehte sich um und sah, dass er das Bewusstsein verloren hatte.
So war er ihr lieber.
Rubio kam angerannt. Er verzog missbilligend das Gesicht. »Er hat seinen Genesungsprozess um eine ganze Woche zurückgeworfen«, sagte er.
»Ja.«
»Jemand anderes muss für ihn reiten«, fügte er hinzu.
»Ja.« Denn egal wie wütend sie auf Michael war, der Schnitter hatte die Sache der Moricadier vorangetrieben. Emma trug Verantwortung. Für Elixabete, für Henrique, Tia und die Köchin. Sie war dafür verantwortlich, seine Arbeit fortzuführen. Sie alle hatten geschworen, ihr zu dienen, und sie war jetzt unwiederbringlich mit diesen Menschen verbunden. »Bereite das Kostüm vor. Ich werde heute Abend reiten.«
37
Das Kostüm war zu groß. Der Sattel war zu groß, und das Pferd auch. Selbst Rubios vielfache Versicherung, bei Old Nelson handle es sich um einen braven Wallach mit einem breiten Rücken, dessen einziger Wunsch es war, seinen Reiter zu tragen, half Emma nicht. Sie musste zum ersten Mal rittlings auf einem Pferd sitzen und nicht im Damensattel. Sie war bisher ohnehin nicht allzu oft geritten. Sie kanterte aus der Höhle unter dem Witwensitz, die als Weinkeller und Stall zugleich diente, und schlug einen Pfad ein, der sich durch den dunklen Wald wand.
Rubio stand im Höhleneingang. »Gebt Old Nelson einfach den Kopf frei«, rief er ihr nach. »Dann wird schon alles klappen.«
Rubio war der geniale Maskenbildner, der hinter dem Kostüm und der Maskerade des Schnitters steckte. Damit ihr das Kostüm passte, hatte er die Hose gerafft und festgesteckt, die Ärmel aufgekrempelt und für sie ein Paar passende weiße Lederhandschuhe gesucht. Außerdem hatte er eine Maske für sie angefertigt. Das alles hatte nur einen Nachmittag beansprucht. Er hatte ihr Gesicht mit so viel Kunstfertigkeit geschminkt, dass sie die Fremde, die sie im Spiegel anstarrte, völlig perplex ansah. Er hatte ihr danach in den Sattel geholfen und dabei nicht mit Ratschlägen und Lob gespart.
Aber wo war er jetzt?
Vermutlich wieder im Stall, von wo aus er sich auf den langsamen und schmerzhaften Aufstieg ins Haus machte.
In der Zwischenzeit war sie ganz allein. Zweige schlugen ihr ins Gesicht. Im Wald gab es wilde Tiere, die krächzten und heulten und sie vermutlich nicht aus den Augen ließen. Sie konnte nichts sehen außer dem Funkeln der Sterne, die durch das Blätterdach blitzten. Wenn sie Pech hatte, trug Old Nelson sie direkt vor die Nase eines Wolfs, der sie zerfleischen wollte. Und wer rettete sie dieses Mal, wenn Michael oben in dem kleinen Schloss gegen das zurückgekehrte Fieber ankämpfte? Und … und … Oh.
Sie unterbrach die quengelige Litanei ihrer Gedanken.
Old Nelson brach aus dem Wald hervor und erreichte eine Straße.
Sie wusste nicht, wo sie war. Sie wusste nicht, wohin diese Straße führte. Aber Old Nelson schien sich auszukennen. Er trabte dahin und schüttelte sie ordentlich durch, bis ihre Zähne klapperten. Dann wurden seine Bewegungen geschmeidiger, und er galoppierte durch das Mondlicht.
Sie klammerte sich an die Zügel und seine Mähne, denn sie fürchtete immer noch, tief zu fallen, wenn sie aus dem Sattel stürzte. Sie schloss die Augen und drückte die Pobacken tief in den Sattel. Seine Hufe trommelten in einem beruhigenden Rhythmus auf die Straße.
Sie saß erstaunlich beständig im Sattel, während die kühle Nachtluft an ihr vorbeistrich.
Sie atmete tief durch und öffnete für einen winzigen Moment die Augen.
Vor ihr breitete sich eine vom Mondlicht silbrig beschienene Landschaft aus. Auf der einen Seite erstreckte sich der Wald, auf der anderen die steile Klippe.
Sie kniff die Augen zusammen. Öffnete sie ein zweites Mal.
Die Straße war ein helles Band, das sich vor ihr wand. Eine Milliarde Sterne beleuchtete den samtschwarzen Nachthimmel. Die Straße wand sich und tauchte immer wieder in die Dunkelheit des Walds ein. Als sie an einer Wiese vorbeigaloppierten, sah sie ein Rotwild, das den Kopf hob und ihnen nachstarrte. Sie sah eine Eule, die sich von einem Baum erhob und auf dem nächtlichen Wind davonsegelte.
Als sie eine Kutsche überholte, winkte sie den Insassen zu und lachte, weil sich die entsetzten Gesichter gegen das Fenster drückten. Dann beugte sie sich tief über Old Nelsons Hals und trieb ihn an. Denn es war wunderschön, so zu reiten. Sie war allein
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