Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
zahllose andere Leben, die Rickie ausgelöscht hatte.
Trotzdem lebte und regierte Sandre nach wie vor, und solange Michael seinen Rachefeldzug nicht zu Ende geführt hatte, konnte er unmöglich gehen.
Die Zeit lief ihm davon, das wusste er. Er wusste, seine Familie würde früher oder später von seiner Wiederauferstehung erfahren, und dann würden sie jemanden schicken, der seine Identität bestätigte. Sie würden wahrscheinlich niemanden schicken – sein Vater, seine Stiefmutter und die beiden Brüder würden womöglich persönlich in Moricadia auftauchten und Sandre dafür büßen lassen, dass er es gewagt hatte, einen Durant einzukerkern.
Aber schlimmer war, dass Michael jetzt unwissentlich Emma in seine Maskerade hineingezogen hatte. Und das nur, weil Jean-Pierre so ein verflucht guter Schütze war.
Er lief in dem engen Stall auf und ab. Er hatte den Geruch von Leder, Heu und den Duft von üppiger Erde in der Nase.
Michael öffnete die Boxentür zu Old Nelsons Verschlag. Rubio hatte die Box bereits gesäubert, weshalb Michael nur noch Striegel, Kardätsche und Hufkratzer bereitlegen musste.
Er blickte auch in die Box daneben, wo er sich immer vor und nach den nächtlichen Ritten umzog. Es gab einen sauberen Strohhaufen, an der Wand hing ein Sattel, und auf einem Holztisch standen eine Waschschüssel und ein Krug. Emmas Stiefel standen ordentlich auf dem Boden. Direkt darüber hingen ihre Sachen an einem Haken: ein dunkelgrünes Kleid, steife und gerüschte Unterröcke und ein Batistunterhemd, das so zart war, dass er fast hindurchsehen konnte.
Rubio hatte für ihre Rückkehr schon alles vorbereitet.
Er fühlte sich unwiderstehlich von dem Unterhemd angezogen und nahm es vom Haken. Er drückte es zusammen wie einen Stängel Lavendel, dem er seinen Duft entlocken wollte. Dann hielt er das Hemd dicht an seine Nase und atmete ein. Er atmete einfach nur. Sofort regte sich seine Lust und reagierte auf den zarten, weiblichen Duft von Emma.
Seine Einkerkerung hatte dieses Verlangen in ihm entfesselt.
Nein. Als man ihn freiließ, hatte er noch nicht an dieser ständigen Qual aus Verlangen gelitten.
Es war Emma, die die Lust in ihm entfesselt hatte.
Ja. Es musste an Emma liegen.
Vorsichtig hängte er das Hemd wieder auf. Er überprüfte den Wasserkrug, ob genug Wasser vorhanden war, und legte die Seife neben die Schüssel. Dann lief er wieder zum Stalltor.
Die Sonne lugte bereits über den Horizont.
Wo steckte sie bloß? War sie kopfüber aus dem Sattel geflogen und lag jetzt bewusstlos irgendwo im Wald? War sie von Jean-Pierre und seinen Männern gefangen genommen worden? Er stellte sich vor, wie sie angeschossen irgendwo lag und verblutete …
Endlich hörte er in der Ferne das sanfte klock-klock der Pferdehufe. Er spannte sich an und starrte so angestrengt ins Dunkel des Waldes, dass seine Augen schmerzten.
Da kam sie. Die Maske hing über ihrem Arm, und die Schminke an ihrem Kinn war verschmiert. Unbekümmert ritt sie näher. Sie tätschelte Old Nelsons Hals und lobte ihn leise.
Er trat an den Waldrand, stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihr finster entgegen. »Wo hast du gesteckt, Emma?« Zufrieden sah er, wie sie beim Klang seiner Stimme zusammenzuckte.
Aber seine sanfte kleine Gefährtin ließ sich von seinem Missfallen nicht einschüchtern. Sie runzelte ebenfalls die Stirn. »Wieso bist du nicht im Bett, wo du hingehörst?«
»Mir geht’s gut.« Und das stimmte. Sich vom Krankenlager zu erheben und Jean-Pierre entgegenzutreten, hatte ihm einen üblen Rückfall beschert. Aber Michael nahm inzwischen wieder große Mahlzeiten zu sich und konnte sich sogar schon ohne Schmerzen bewegen. Die Wunde hatte sich geschlossen, und es gab keine Anzeichen für eine Infektion.
»Was tust du auf dem Rücken dieses Pferds in diesem albernen Kostüm?«
»Willst du etwa behaupten, ich sehe wie ein Dummkopf aus?«
»Genau das!«
»Dann solltest du dich lieber daran erinnern, wenn du zukünftig dieses Kostüm wieder trägst.« Sie zog den Kopf ein, als Old Nelson in den Stall trottete.
Das Pferd steuerte direkt auf seine Box zu.
Michael folgte den beiden.
Sie rutschte neben dem Aufsitzblock aus dem Sattel und nahm einen Lappen zur Hand.
Michael nahm ihn ihr ab. »Ich werde ihn abrubbeln. Geh schon, zieh dich um und wasch dein Gesicht.«
»Meinetwegen«, fauchte sie ihn an und zog sich in die angrenzende Box zurück.
Er musste Geduld mit ihr haben. Nach dem Ritt war sie bestimmt müde, und er
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