Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
Tuch einer Leiche. Hinter ihm stand ein Pferd, das so geisterhaft und entrückt war wie sein Reiter.
Sie starrte den Schnitter an.
Dann schrie sie erneut, laut und schrill. Sie versuchte umzukehren. Sie stolperte über eine Baumwurzel. Ihr armer, bereits geschundener Knöchel gab nach, und sie fiel ins Gebüsch. Spröde Äste kratzten ihre Haut und brachen unter ihrem Gewicht durch. Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper verloren und rollte auf den Waldboden, der mit Piniennadeln weich gepolstert war. Dann stieß sie sich den Kopf an einem Stein, und einen Moment lang verlor sie das Bewusstsein.
Als sie zu sich kam, lag sie auf dem Bauch. Ihr Gesicht lag in den Lehm des Waldbodens gedrückt. Der Geruch nach Piniennadeln stieg ihr in die Nase. Desorientiert stützte sie sich auf die Hände und kam hoch. Dann sank sie erschöpft wieder in den Dreck.
Ihr war schwindelig. Jeder Knochen im Körper schmerzte. Schließlich war ihr Mut nach all den schrecklichen Tagen und so vielen Kräfte zehrenden Nächten gebrochen. Sie hatte erneut einen Tiefpunkt erreicht und würde jetzt sterben.
Hände packten sie unterhalb der Rippen. Sie spürte heißen Atem auf ihrem Gesicht, als sie umgedreht wurde. Dann erst schaute sie in das abscheuliche Antlitz. Es war tatsächlich der Schnitter, und seine Augen … waren nichts als leere Höhlen.
Mit einem leisen Seufzen verlor sie das Bewusstsein.
Der Schnitter hob sie hoch, warf sie sich über die Schulter und stieg in den Sattel seines Pferds. Er verschwand in der Dunkelheit.
Später in dieser Nacht saß der Schnitter wieder im Sattel. Das Pferd tänzelte unter seinen Schenkeln warm und unruhig. Die Sterne funkelten hell im Westen. Doch im Osten berührte schon die leise Ahnung des heraufdämmernden Morgens den Himmel. Er beobachtete, wie die lange Reihe der Kutschen sich langsam die Straße entlang vom Ch â teau wegbewegte. Läufer trugen Fackeln, die den Gästen den Weg wiesen. Gelegentlich stieg betrunkenes Gelächter in den Nachthimmel auf, aber die meiste Zeit war es still. Die Feiernden waren nach Stunden des Tanzes, des Spiels und des Trinkens erschöpft. Eine nach der anderen rollten die Kutschen davon. Sie nahmen unterschiedliche Straßen, er verharrte ganz ruhig und wartete. Schließlich bewegte er sich zuerst ganz langsam und dann immer schneller werdend den Berg hinunter. Sein Plan, den er unter verzweifelten Umständen einst geschmiedet hatte, führte ihn.
Und sein Durst nach Vergeltung.
5
»Rickie. Rickie!« Lady de Guignard rüttelte die Schulter ihres Ehemanns.
»Um der Liebe Gottes willen, Aimée!« Er klang schläfrig und zugleich genervt. »Es ist vier Uhr in der Früh. Was für eine Narretei hat dich jetzt wieder gepackt, dass es nicht warten kann?«
»Nein, nein, keine Narretei! Du weißt doch, dass man sich erzählt, dass ein Gespenst auf diesen Straßen bei Neumond auf Jagd geht?«
»Wer ist man ?« Rickie klang beiläufig. Er versuchte, seine langen Beine in der engen Kutsche auszustrecken.
Aber sie lebte inzwischen seit zwanzig Jahren an seiner Seite. Er konnte die Wahrheit nicht vor ihr verbergen. Und die Wahrheit war: Er war alarmiert. »Diese Engländerin, Lady Lettice. Sie wusste alles über den Schnitter. Sie hat mir davon erzählt, als wir uns im Waschraum begegnet sind. Sie meinte, der Schnitter sei der Geist von König Reynaldo.«
»Ist er kopflos?« Sie konnte Rickie in der Dunkelheit nicht sehen, aber er klang ungeduldig und herablassend. »Denn als wir de Guignards das Land eingenommen haben, haben wir Reynaldo gehängt, bis er tot war, und dann haben wir ihm den Kopf abgehackt, ihn aufgespießt und auf dem Marktplatz von Tonagra ausgestellt.«
Aimée schnappte nach Luft. »Ein kopfloser Geist? Ich glaube, das hat sie nicht gewusst!«
»Mein Gott, Weib. Du bist wirklich das dümmste …« Seine Stimme klang richtig ärgerlich.
Lady de Guignard fummelte an den Spitzenrüschen an ihrem Hals herum. »Wenn du einmal nach draußen schaust, wirst du sehen, dass heute Neumond ist.«
»Dann ist es eben so. Reynaldo ist seit Jahrhunderten tot. Warum sollte er ausgerechnet jetzt anfangen, dieses Land heimzusuchen?«
»Er ist der Vorbote für die Rückkehr des neuen Königs«, erklärte sie.
»Teufel noch mal!« Rickie setzte sich auf. »Woher kommt dieses Gerücht schon wieder? Wir haben dieses Rattennest dieses zweitklassigen Königtums ausgerottet. Es gibt keinen König, der zurückkehren könnte.«
»Lady Lettice sagt, die
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