Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
passiert ist.«
»Ich habe Euch bereits alles gesagt.« Sie trug schwarzes Krepp, die angemessene Kleidung einer jüngst verwitweten Frau. Sie tupfte mit einem Spitzentaschentuch ihre blauen Augen. Obwohl sie auf jede nur erdenkliche Weise ihre Trauer öffentlich zeigte, konnte nichts davon Sandre überzeugen, dass sie nichts mit Rickies Tod zu tun hatte. Nicht absichtlich, natürlich. Aber sie diente unwissentlich als Werkzeug in dem großen Plan, der sich offenkundig zum Ziel gesetzt hatte, die Familie de Guignard zu vertreiben.
Dieser Streich würde nicht gelingen, solange Sandre an der Macht war.
»Dann erzählt es mir noch einmal.« Er lief unruhig in dem Raum auf und ab.
»Wir stiegen nach der Feier in unsere Kutsche. Die anderen Gäste brachen auch auf.«
»Und die anderen haben Euch wegfahren gesehen?«
»Natürlich haben sie das. Die Hauptstraße war von den Kutschen verstopft. Erst als wir die Abzweigung nahmen, wurde es ruhiger und … dunkel. Da habe ich mich wieder an das erinnert, was Lady Lettice mir von dem Gespenst erzählt hatte. Ich habe Rickie davon erzählt, und ich meinte, ich hätte eine Vorahnung, dass schon bald etwas Schreckliches passieren würde.« Aimée atmete tief durch und schaute sich um. Er sah deutlich, dass sie fürchtete, er werde ihr nicht glauben.
Er schnipste mit dem Finger. »Sprecht weiter.«
»Die Kutsche hielt. Rickie wurde ungeduldig – Ihr wisst ja, wie er sein kann – und stieg aus.«
Sie redete über ihren Ehemann in der Gegenwart.
»Meine Vorahnung wurde schlimmer. Ich flehte ihn an, nicht zu gehen.«
Ihre Melodramatik wurde ebenfalls schlimmer.
»Aber er bestand darauf und verschwand in der Dunkelheit. Ich blieb allein zurück, saß in der Kutsche und zitterte um das Leben meines Mannes.«
»Als Ihr mir die Geschichte das erste Mal erzählt habt, sagtet Ihr, Ihr wärt eingeschlafen.«
Ungeduldig, weil sie in ihrem Monolog unterbrochen wurde, erwiderte sie: »Ich bin vielleicht eingedöst. Ein wenig. Eventuell einmal. Aber ich wusste, dass etwas Schreckliches vor sich ging, und … und es hat mich bis in meine Träume verfolgt!« Aimée begann allmählich, die ihr geschenkte Aufmerksamkeit zu genießen. »Als die Kutsche wieder anrollte, kam ich zu Bewusstsein und rief nach Rickie. Er war nicht da, deshalb habe ich aus dem Fenster geschaut, und …«
Sandre sah, wie der Moment in ihrer Erinnerung wieder lebendig wurde.
Sie wurde leichenblass und brach in sich zusammen. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich sah ihn auf der Hügelkuppe. Den Schnitter. Sein flatterndes Gewand bewegte sich im Wind. Er starrte mich an. Ich zuckte zurück und schrie. Ich schrie nur noch. Als ich wieder hinaussah, war er fort, und ich erblickte Rickie, wie er am Strick von dem Baum hing.«
»War er noch am Leben?«
»Nein. Er hing am Baum.« Sie wiederholte sich, als halte sie Sandre für einen Dummkopf.
»Wenn man jemanden aufhängt, stirbt er nicht zwangsläufig sofort. Manche hängen eine Stunde lang dort, ehe sie Erlösung finden – es sei denn, sie brechen sich sofort den Hals.«
»Woher hätte ich das wissen können?«
»Es gibt in diesem Land öffentliche Hinrichtungen.« Rebellische Moricadier ließ Sandre zur Abschreckung öffentlich hinrichten. Es war immer gut, sie daran zu erinnern, wie leicht es war, ein Leben auszulöschen. »Ihr habt also nichts getan, um Rickie zur Hilfe zu kommen?«
»Er war tot! Glaube ich zumindest. Sein Kopf hing nach unten. Ich hämmerte gegen das Kutschdach, damit der Kutscher den Pferden die Peitsche zu schmecken gab, und wir rasten nach Hause.«
»Das letzte Mal, als Ihr mir die Geschichte erzählt habt, meintet Ihr, er habe erst die Pferde angetrieben, und Ihr hättet dann gegen die Decke gehämmert.«
»Ich erinnere mich nicht, was zuerst kam!«, rief sie.
Einer der Wächter schnappte nach Luft.
Das wiederum weckte ihr Interesse. Sie erkannte, was sie getan hatte, und mit leiser, versöhnlicher Stimme fügte sie hinzu: »Verzeiht, Euer Hoheit. Ich bin ganz außer mir vor Trauer. Aber ich erinnere mich wirklich nicht, was zuerst geschah. Ich weiß nur, dass Rickie jetzt tot ist und dass der Schnitter ihn ermordet hat.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Sandre, wie seine Wachen Blicke wechselten. Mit harter, kalter Stimme erwiderte er: »Ich habe darum gebeten, Euren Kutscher herzubringen, um ihn zu dem Vorfall zu befragen. Wisst Ihr, wo er war? Man hat ihn heute früh gefesselt und geknebelt auf Thibaults Heuboden
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