Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
seinem Stiefel zertreten würde.
Wenn seine Theorie richtig war, war Jean-Pierre genau der richtige Mann für diesen Job.
8
Am nächsten Morgen riss Emma die Augen überrascht auf. Ihr Herz schlug schnell, und sie rang nach Luft. Sie hatte sich im Schlaf in den Decken verfangen, die von ihrem Angstschweiß feucht waren.
Sie hatte geträumt. Vom Schnitter. Es war ein Albtraum mit verwirrenden Bildern – sie hatte einen Wald gesehen, in dem die Äste der Bäume wie Finger nach ihr griffen. Da war wieder der Wolf mit glühenden Augen. Und ein Ghul, der keine Augen hatte. In ihrem Traum waren Schmerz und düstere Vorahnungen und … ja, was? Sie wusste es nicht.
Sie setzte sich langsam auf und befreite sich von der Panik und ihrem voluminösen Nachthemd.
Der Albtraum musste durch die gestrige Neuigkeit heraufbeschworen worden sein. Sie hatte diesen intimen Moment zwischen Ehemann und Ehefrau belauscht; der Schnitter hatte Lady Fancheres Cousin ermordet. Er hatte ihn am Hals aufgehängt, bis er tot war.
Die arme Lady Fanchere war ehrlich entsetzt gewesen. Doch sie hatte nicht vergessen, was zu tun war. Sie hatte Emma befohlen, im Bett zu bleiben, und Tia hatte sie angewiesen, sich um Emma zu kümmern. Jedes Mal, wenn Emma aufwachte, wurde ihr eine kleine Mahlzeit serviert, die geschaffen war, einen abgestumpften Gaumen zu erfreuen.
Es war dumm, über einen Alptraum nachzugrübeln. Und sie war nicht dumm. Man hatte ihr eine zweite Chance gegeben, um aus ihrem Leben etwas zu machen, und sie würde diese Chance nicht verspielen. Es würde nicht wie beim letzten Mal ablaufen, damals hatte sie England als die Gesellschaftsdame Lady Lettices verlassen. Sie war blauäugig und voller Enthusiasmus in dieses Abenteuer gestartet, denn die Vorstellung, fremde Länder und historische Stätten zu besuchen, gefiel ihr. Stattdessen aber hatte sie sich in einem Hotelzimmer nach dem nächsten wiedergefunden, wo sie ängstlich die Rückkehr von Lady Lettice erwartete.
Emma konnte Lady Fanchere ohne Fehl und Tadel dienen, das wusste sie ganz genau! Daher stieg sie aus dem Bett und schaute sich um.
Der Morgen war schon weit fortgeschritten. Die Sonne schien, und heute sah sie, was gestern ihrer Aufmerksamkeit entgangen war.
Für die Kammer einer Dienerin war der Raum recht groß und geschmackvoll eingerichtet. Sie fragte sich, ob sie nun, da sie sich erholt hatte, den Raum mit anderen Dienerinnen teilen würde. Emma trat ans Fenster und blickte auf die sanften Gärten und Rasenflächen, die sich hinter dem Anwesen bis zu einer Klippe erstreckten. Ganz weit hinten auf der Klippe, stand ein kleines altes Schloss – der Witwensitz, in dem Michael Durant gefangen gehalten wurde. Die Steine wirkten kalt, aber Emma hatte keinen Zweifel, dass Lady Fanchere für seinen Komfort sorgte.
Saubere Kleidung hing in dem schmalen Schrank in der Zimmerecke: Unterwäsche, Unterröcke und ein hübsches blaues Baumwollkleid. Auf dem Boden stand ein Paar einfache schwarze Lederschuhe. Sie kleidete sich rasch an und befestigte den weißen, gesteiften Kragen und die Manschetten. Um die Taille war das Kleid etwas zu groß, der Saum war etwas zu kurz. Doch der Stoff war von guter Qualität, und ein Blick in den kleinen Spiegel über der Kommode verriet ihr, dass die Farbe ihrer Haut schmeichelte. Bis auf die Abschürfung an ihrem Kinn schimmerte ihre Haut wie Alabaster, der von innen heraus leuchtete.
Sie richtete sich abrupt auf. Es gab keinen Grund, verzweifelt zu sein. Sie war schon immer recht dünn gewesen, und ihr Aufenthalt in Europa hatte sie noch mehr Gewicht verlieren lassen. Ihr Haar war von einem so intensiven Braun, dass es fast schwarz wirkte und sich außergewöhnlich von der blassen Haut abhob. Das Gesicht war oval, und sie hatte einen spitzen Haaransatz mittig über der Stirn und zudem ein Kinn, das spitz zulief wie das einer Hexe, wie Lady Lettice gern behauptete. Lady Lettice sagte zudem, sie habe die bedauernswerte Angewohnheit, dass man ihre Gefühle in der Farbe ihrer Augen widergespiegelt sah – und diese Gefühle waren Lady Lettice gegenüber nicht sonderlich schmeichelhaft. Dafür hatte sie Emma bezahlen lassen, und zwar mehr als einmal.
Ein Tablett mit ein paar Scheiben Brot, Käse und Obst hatte man für sie auf die Kommode gestellt, und sie aß rasch ein sättigendes Mahl. Dann schritt sie entschlossen zur Tür und öffnete sie. Dahinter fand sie eine Treppenflucht, die ins erste Obergeschoss führte. Sie stand
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