Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
Fanchere leicht.
Lady de Guignard schniefte und schaute Lady Fanchere an. Dann stimmte sie sogleich zu, dass Lady Fanchere gut umsorgt werden musste, weil sie – wie Aimée so laut flüsterte, dass so ziemlich jeder in der Hotelhalle es hörte – in anderen Umständen war.
Offensichtlich hatte Lady Fanchere ihr Geheimnis mit Lady de Guignard geteilt, und wenn Emma den verzweifelten Ausdruck auf Lady Fancheres Gesicht richtig deutete, wusste sie, dass es nun nicht länger ein Geheimnis war.
Nachdem Emma sich um die beiden Damen gekümmert hatte – sie hatte sie zum Essen begleitet und sie anschließend in die beiden aneinandergrenzenden Suiten im dritten Stock gebracht, hatte ihnen in die Nachthemden geholfen und sie zu Bett gebracht –, war sie froh, sich in ihr eigenes kleines und sauberes Zimmer zurückzuziehen. Es war eines von drei Dutzend Räumen, die unter dem Dach lagen und den persönlichen Zofen und Gesellschaftsdamen zur Verfügung standen, die die Ladys in das Heilbad begleiteten. Offensichtlich hatte man sich hier ziemlich viele Gedanken gemacht und fand, dass Diener, die gut untergebracht waren, ihre Arbeitgeber durchaus animieren konnten, länger zu bleiben.
Direkt unterm Dach hatte die Sonne im Laufe des Tages eine unangenehme Hitze erschaffen, weshalb Emma ans Fenster trat und es weit öffnete. Sie ließ die Nachtluft ein und genoss die Kühle. Bis zum Erdgeschoss waren es vier Stockwerke, und nur gelegentlich durchbrachen Gauben die Dachschräge aus rutschigen Schieferdachziegeln. Über ihrem Kopf funkelten die Sterne wie Diamanten an einem so dunklen Himmel, dass er unendlich aussah. Die Lichter der Stadt glitzerten inmitten eines Walds, der düster und ursprünglich aufragte und bis an die ersten Häuser der Stadt heranreichte.
Wie auf ein Stichwort beschleunigte sich Emmas Herzschlag. Sie brach in kalten Schweiß aus. Sie war in die Wildnis hinausgegangen. War von einem Wolf bedroht worden. Und war von einem … einem … sie wusste nicht, wer sie gerettet hatte. Oder was. Sie konnte sich nicht erinnern , aber wenn sie es könnte, wüsste sie, dass es etwas zu bedeuten hatte.
Wieder überkam sie Schwindel. Sie stolperte rückwärts ins Zimmer und legte die Hände aufs Gesicht. Irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein war etwas verborgen, mit dem sie sich nicht konfrontieren wollte. Etwas, wovor sie sich zu sehr fürchtete.
Sie atmete noch einmal die frische Nachtluft ein, und es gelang ihr, die widersprüchlichen Gefühle in den Griff zu bekommen.
Das Zimmermädchen hatte Emmas Tasche ausgepackt und ihr zweitbestes Kleid aufgehängt. Ihre Unterwäsche lag in der Schublade der kleinen Kommode. Emma blieb also nichts weiter zu tun, außer ihre langen Haare zu kämmen, zu einem Zopf zu flechten und in ihr weißes Baumwollnachthemd zu schlüpfen. Die Ärmel bedeckten sie von den Schultern bis zu den Handgelenken, das Hemd selbst vom Hals bis zu den Zehen. Dennoch war der Stoff fast durchsichtig, denn das Nachthemd war inzwischen so alt und dünn, dass es wie Gaze war. Sie wickelte sich in ihren geliebten Schal, schlug mit der Kerze in der Hand die Bettdecke zurück und untersuchte die Laken. Sie waren weiß und sauber. Die Daunendecke war ebenfalls weiß, dick und mit feinsten Daunen gefüllt. Sie stieg ins Bett und kuschelte sich in die weiche Federmatratze. Dann schlug sie die Kissen in ihrem Rücken auf und seufzte erleichtert.
Das war ein langer Tag gewesen.
Die zerlesene Ausgabe von Stolz und Vorurteil , die früher ihrer Mutter gehört hatte, lag auf dem Nachttischchen neben der brennenden Kerze. Sie nahm das Buch mit dem festen Vorsatz, nur ein paar Seiten zu lesen.
Fünf Kapitel später war bereits Mitternacht, und sie hatte sich so in die Geschichte vertieft, dass sie ganz vergessen hatte, wo sie war. Eine frische Brise wehte durch das Fenster herein und ließ die Buchseiten rascheln. Sie blickte verwirrt auf, als ein Donnergrollen sie aus dem England des Regency unsanft zurückholte. Das leise Klicken eines einrastenden Riegels ließ sie erstarren. Sie war noch immer ganz gefangen in ihrem Schmachten für Mr Darcy. Doch dann quietschten die Scharniere, und die Tür schwang auf. Dahinter stand … der Schnitter.
Emma fuhr aus ihrem Bett hoch und wollte gerade schreien – doch dann stockte ihr der Atem in der Kehle.
14
Emma erkannte die blasse, leichenartige Gestalt sofort. Sie erinnerte sich an ihn!
Der Schnitter stürzte quer durch das kleine Zimmer auf das Bett zu und
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