Süße Fesseln der Liebe
geistig offenbar schon längst auf das Abenteuer eingelassen hatte.
Sie hängte sich den Umhang um, setzte sich den Hut auf und machte sich auf den Weg in die Mount Street. Inständig hoffte sie, dass Nell zu Hause war, und erwischte ihre Freundin auf der Türschwelle.
»Nell, ich muss dich um einen Gefallen bitten«, begann sie und gab sich alle Mühe, nervös zu klingen. Insgeheim hatte sie beschlossen, dass ein plötzlicher Notfall überzeugender wäre als eine sorgsam erdachte Geschichte, deren Einzelheiten sie um keinen Preis verwechseln oder vergessen durfte.
»Natürlich, meine Liebe, was immer du willst.« Cornelia wirkte besorgt. »Komm rein.«
»Es dauert nur ein paar Minuten«, meinte Aurelia entschuldigend, »du willst gerade ausgehen. Ich werde dich nicht lange aufhalten.«
»Oh, ich habe nichts Besonderes vor«, behauptete Cornelia mit einer wegwerfenden Handbewegung, »ich wollte nur einen neuen Hut anprobieren. Eine vollkommen nutzlose Beschäftigung. Komm doch rein, wir können uns schlecht auf der Schwelle unterhalten.« Sie machte kehrt und ließ den Klopfer wieder auf das Türblatt sausen.
Beneidenswert, wie schnell die Tür geöffnet wird, dachte Aurelia, während sie ihrer Freundin nach drinnen folgte und dem Butler Hector zunickte, der einen Gruß murmelte und sich verbeugte.
Sie folgte Nell ins Wohnzimmer am anderen Ende der Halle. »Du kannst dich doch bestimmt an meine alte Tante in Bristol erinnern? Ich habe gerade einen Brief von Ihrer Gesellschafterin bekommen. Offenbar ist Tante Baxter ernsthaft erkrankt. Matty schien sagen zu wollen, dass sie auf dem Sterbebett liegt, obwohl man bedenken muss, dass sie immer sehr schnell Alarm schlägt. Aber ich glaube, dass ich für ein paar Tage verreisen muss. Nur für den Fall, dass es diesmal stimmt. Ich bin tatsächlich ihre einzige lebende Verwandte.«
»Natürlich musst du verreisen, meine Liebe«, stimmte Nell sofort zu und schenkte zwei Gläser Sherry ein. »Selbstverständlich können Franny und Daisy bei uns wohnen, solange es notwendig ist.«
Aurelia lächelte erleichtert. Es war noch nicht einmal nötig gewesen, dass sie ihre Bitte vortrug. »Ich werde eine Postkutsche mieten und morgen in der Früh aufbrechen. Wenn es in Ordnung ist, werde ich Daisy später am Nachmittag mit Frannys Kleidung und ein paar wichtigen Spielzeugen zu dir schicken. Ohne ihre zerzauste Stoffpuppe kann sie nicht einschlafen.«
Aurelia stieß die Worte schnell, fast atemlos hervor, und ihre Aufregung war nicht gespielt. Wegen der Lügen, die ihr unablässig über die Zunge perlten, fühlte sie sich entsetzlich unwohl in ihrer Haut; es wurde noch schlimmer, als sie merkte, wie bereitwillig ihre Freundin ihr glaubte. Sie stärkte sich mit einem kräftigen Schluck Sherry. »Am besten, ich gehe jetzt ins Schulzimmer und erkläre es Franny.«
»Ich begleite dich.«
Zu Aurelias großer Erleichterung schien Franny wenig beunruhigt, dass ihre Mutter so überstürzt verreisen wollte. Die drei Kinder tanzten aufgeregt durch das Zimmer, als ihnen in Aussicht gestellt wurde, dass sie ein paar Tage und Nächte miteinander verbringen durften. Aurelia musste förmlich um einen Abschiedskuss betteln. Zusammen mit Cornelia verließ sie das Schulzimmer wieder. »Danke, Nell«, sagte sie unten in der Halle, »ich muss jetzt schnell nach Hause und die nötigen Vorbereitungen treffen. Daisy wird um fünf Uhr vorbeikommen.«
»Natürlich«, bestätigte Cornelia und führte ihre Freundin zur Tür. »Nur so aus Interesse, hast du diesen Colonel Falconer in letzter Zeit mal gesehen?«
»Nicht seit jenem Nachmittag vor ein paar Tagen«, erwiderte Aurelia überzeugend lässig. »Warum?«
»Er schien sehr aufmerksam an jenem Nachmittag.« Nell musterte ihre Freundin mit einem zaghaften Lächeln. »Wir haben es alle bemerkt. David meinte, er hätte gesagt, dass er Frederick gekannt hat.«
»Ja. Vor der Schlacht bei Trafalgar ist er ihm ein- oder zweimal begegnet.« Aurelias Handflächen wurden feucht. »Ich glaube nicht, dass sie besonders enge Freunde waren. Als ich ihn fragte, ob er Stephen auch begegnet ist, hat er verneint.« Wie sie diese Lügen hasste … und wie mühelos sie ihr über die Zunge glitten.
Cornelia nickte und drückte ihrer Freundin zum Abschied einen Kuss auf die Wange. »Viel Glück mit Tante Baxter.«
»Danke.« Aurelia winkte heftig, während sie sich eilig auf den Weg machte. Natürlich plagte sie das schlechte Gewissen, aber sie war auch
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