Suesse Hoelle
Verstand zu schärfen, die Wogen der Macht höherzutreiben.
Als er seinen Arbeitsplatz heute Abend verließ, konnte er bereits die Erwartung spüren, die in ihm keimte. Doch jetzt leistete er sich dieses angenehme Gefühl noch nicht und konzentrierte sich auf seine normalen Verrichtungen; denn er durfte nicht zulassen, dass es sich jetzt schon seiner bemächtigte; noch gab es anderes zu tun. Das Vergnügen war viel stärker, wenn er ihm nicht sofort nachgab, sondern sich zuvor in Geduld geübt hatte. Er fuhr also in seine Wohnung, las die Zeitung, stellte ein Schnellgericht in die Mikrowelle. Während es warm wurde, deckte er den Tisch, Platzdeckchen, Serviette, alles so, wie es sein sollte. Nur weil er allein lebte, war das noch lange kein Grund, sich gehen zu lassen.
Erst als draußen Dunkelheit herrschte, holte er seine Karte der Umgebung von Orlando hervor und suchte darauf Cypress Terrace. Mit einem gelben Leuchtstift markierte er den Weg dorthin von seiner Wohnung aus, sorgfältig merkte er sich jede Straßenkreuzung. Es war näher, als er angenommen hatte, nicht mehr als eine Viertelstunde mit dem Wagen. Sehr praktisch.
Dann machte er eine hübsche kleine Ausfahrt und genoss das milde Frühlingswetter. Die erste Erkundungstour war nicht mehr als ein Vorüberfahren an dem Haus, um seine Lage zu sichten. Auch sonstige Einzelheiten merkte er sich, zum Beispiel wie nahe andere Gebäude standen, ob es in der Nachbarschaft Haustiere gab und wie viele Kinder in der Nähe spielten. Hatte das Grundstück einen Zaun, wie viele Wagen standen in der Einfahrt, oder gab es eine Garage? Kleine Dinge wie diese interessierten ihn, Einzelheiten. Später würde er mehr herausfinden, bei jeder Fahrt würde er mehr erfahren, bis er schließlich bei der letzten Erkundung ins Haus eindränge und sich die Lage der Zimmer einprägte. Erst dann dürfte er der Vorfreude ihren Lauf lassen; es war nämlich herrlich, in ihrem Haus herumzugehen, wenn sie nicht zu Hause war, ihre Dinge zu berühren, in ihre Schränke zu sehen und in ihr Bad. Er würde dann schon in ihr sein, und sie würde es nicht einmal ahnen. Es fehlte nur noch das Finale!
Er fuhr an dem Haus Nummer 3311, Cypress Terrace vorbei, es besaß keine Garage, nur einen schmalen Einzelunterstand. Ein etwa fünf Jahre alter Pontiac stand darunter. Keine weiteren Autos parkten vor dem Haus, keine Fahrräder, keine Skateboards, nichts, das auf Kinder hindeutete. Im Haus brannte nur ein Licht: Entweder lebte also nur eine Person im Haus, oder alle hielten sich in einem Zimmer auf. Normalerweise bedeutete es das erstere.
Er fuhr um den Block und bog dann ein zweites Mal in die Straße ein, mehr als zweimal fuhr er nie am Haus vorbei bei einer seiner Fahrten. Wenn ihn wirklich jemand beobachtete, was nicht sehr wahrscheinlich war, so konnte man denken, dass er sich verfahren hatte. Doch wenn er ein drittes Mal aufkreuzte, machte er sich verdächtig. Beim zweiten Mal bemerkte er den Zaun, der auf der linken Seite am Haus vorbeiführte, gegenüber von dem Unterstand für den Wagen. Gut. Ein Zaun bot ein willkommenes Versteck. Die rechte Seite des Grundstücks war ein wenig offener als wünschenswert, doch alles in allem fand er die Lage recht nett. Eigentlich sogar sehr nett. Alles fügte sich zum Besten.
Marlie hatte auf der Couch gelegen und ein Buch gelesen, das nicht sehr interessant war. Sie fühlte, wie sie sich langsam entspannte. Den ganzen Tag über war sie nervös gewesen und hatte überlegt, ob Detektiv Hollister wohl auf sie warten würde, wenn sie von der Arbeit kam, so wie gestern. Auf der einen Seite graute ihr davor, noch eine dieser feindseligen Begegnungen mit ihm durchzustehen, doch machte sich eigenartigerweise Enttäuschung in ihr breit, als sie die Bank verließ und er nicht da war. Anscheinend musste sie auf etwas gewartet haben, was nicht eingetreten war.
Sie lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch und schloss die Augen. Sein Gesicht formte sich hinter ihren geschlossenen Lidern, seine ungeschliffenen Linien, die gebrochene Nase, die braungrünen, tiefliegenden Augen. Äußerlich konnte man ihn nicht als kultiviert bezeichnen, selbst wenn er ebenmäßigere Züge besäße - der Ausdruck seiner Augen würde ihn für immer von anderen Menschen unterscheiden. Er hatte die durchdringenden Augen eines Raubtieres, immer wachsam. Die Leute von Orlando konnten von Glück sagen, dass er sich auf die Seite des Gesetzes geschlagen und die Kriminellen zu seinen
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