Suesse Hoelle
wirklich ein sehr hochgewachsener Mann, größer noch als sie geglaubt hatte; mindestens einen Meter fünfundachtzig musste er groß sein, und sicherlich wog er über hundert Kilo. Die Füße, die er auf ihren Couchtisch gelegt hatte, steckten sonst sicher in Schuhen ab Größe vierundvierzig. Seine Schultern waren so breit, dass er beinahe die Hälfte der Couch einnahm, seine Arme wirkten mächtig und muskulös. Seinen Oberkörper, genauso wie seinen Bauch, konnte man mit einem Bergplateau vergleichen. Die langen Beine, die er jetzt ausgestreckt hatte, kamen ihr vor wie Baumstämme.
Sein Haar war dunkler als ihres, beinahe schwarz. Sie betrachtete seine Nase, die ausgeprägten Wangenknochen und fragte sich, ob vielleicht Indianer zu seinen Vorfahren gehörten. Sein starker Bartwuchs deutete auf eine mangelhafte Rasur hin, obwohl sie einen frischen Schnitt an seinem Kinn entdeckte; dichte, dunkle Stoppeln bedeckten immer noch sein Kinn.
Er beugte sich vor zur nächsten Portion, und ihr Blick fiel auf seine Hände. Wie alles andere an ihm waren auch sie groß, beinahe doppelt so groß wie die ihren. Doch trotz ihrer Ausmaße waren sie schlank und gut geformt, mit kurzen, sauberen Fingernägeln. Sie fühlte sich sicher in diesen Händen, nicht sicher vor ihm, doch vor allem anderen. Aber wollte sie denn sicher vor ihm sein? Sie hatte ihr Herz verloren, vor ungefähr fünfzehn Minuten, und der Schock darüber saß ihr in den Knochen.
Er war ein Cop, ein Mann, der seinen Lebensunterhalt durch die Gewalttätigkeiten anderer verdiente. Freilich ging diese Gewalttätigkeit nicht von ihm aus, aber er musste dafür sorgen, dass die Folgen geklärt und beseitigt wurden, es war seine Welt. In der Nähe seiner Rechten lag eine automatische Pistole. Irgendwann an diesem Tag hatte sie sie bemerkt, und jetzt wurde ihr klar, dass sie immer in seiner Nähe war. Sein Schultergurt lag neben ihm.
Auf dem Handrücken seiner rechten Hand entdeckte Marlie eine Narbe. Sie bemerkte sie, als er nach dem dritten Stück Pizza griff, und sie fühlte sich alarmiert. »Die Narbe auf deiner Hand«, sagte sie. »Woher hast du die? Es sieht aus wie die Wunde von einem Messer.«
Er drehte seine Hand um und sah sich die Narbe an, dann zuckte er mit den Schultern und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Baseballspiel. »Ist es auch. Sie stammt von einer Begegnung mit einem jungen Punker, als ich noch Streifendienst gemacht habe.«
»Sieht übel aus ... «
»Es war nicht gerade lustig, aber so schlimm nun auch wieder nicht. Die Wunde ging nicht sehr tief, das Messer hat keine Muskeln und Sehnen verletzt. Ein paar Fäden genügten, und ich war wieder wie neu.«
»Gleen hat mich auch mit dem Messer verletzt«, sagte sie. Sie wusste nicht, warum sie davon anfing, sie hatte gar nicht darüber reden wollen.
Sein Kopf fuhr hoch, alle Freundlichkeit war aus seinem Blick verschwunden, der Ausdruck seiner durchdringenden Augen machte ihr angst. »Was ?« fragte er leise und legte das Stück Pizza aus der Hand. Mit dem Daumen drückte er auf die Fernbedienung, und der Bildschirm des Fernsehers wurde schwarz. »Davon hat der Professor noch gar nichts erzählt. «
Marlie schob ihren Teller beiseite und zog die Beine unter sich. »Es waren keine ernsthaften Verletzungen, nur ein paar Schnitte. Er hat mit mir gespielt, hat versucht, meine Gegenwehr zu brechen durch Schmerz und Angst - hat sich auf diese Weise stimuliert, er brauchte das. Und er wollte mich ja auch nicht umbringen, wenigstens zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich sollte am Leben bleiben, damit er mit mir spielen konnte. Natürlich hätte er mich später dann doch umgebracht, wäre der Sheriff nicht gekommen.«
»Lass es mich sehen.« Seine Stimme klang so sanft, und er griff bereits nach ihr und öffnete den Morgenmantel. Marlie kämpfte einen Augenblick gegen ihn an, doch dann hatte er ihre Hände beiseite geschoben und öffnete den Morgenmantel weit. Er betrachtete sie; bis auf das knappe, dünne Höschen war sie nackt.
Die mittlerweile sechs Jahre alten Narben entstellten sie nicht. Wahrscheinlich würden sie mit der Zeit ganz verschwinden. Sie hatte sich nie den Kopf darüber zerbrochen; in Anbetracht all dessen, was sie sonst hatte erleiden müssen, erschienen sie ihr lächerlich, und eitel war sie nie gewesen. Es handelte sich um kleine, helle Striche, fünf insgesamt: einer an der Innenseite ihrer rechten Brust, die anderen auf ihrem Bauch. Es wären noch mehr geworden, denn
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