Sueße kleine graue Maus
Anzeige.
»Ja ... nein ... Ich muß zurück an die Arbeit.« Sie schob sich rasch an ihm vorbei und floh die Treppe hinauf. In ihrem Apartment knallte sie die Tür zu und lehnte sich schweratmend dagegen. Würde er jetzt hinter ihr herkommen, triumphierend die Illustrierte schwenken und sich diebisch darüber freuen, daß er sie erkannt hatte?
Dann erschien ihr auf einmal ihre Furcht vor Entdeckung lächerlich. Wie sollte Trent oder irgend jemand anderer sie auf dieser Anzeige erkennen? Miss Ramsey paßte zu dem Model auf dem Bild wie die Hand ihres männlichen Partners zu dessen Gesicht. Es gab einfach keine Ähnlichkeit zwischen den beiden.
Entschlossen stieß sich Rana von der Tür ab und setzte sich wieder an den Tisch, um an dem Wickelrock, den sie gerade bemalte, weiterzuarbeiten. Es schien ihr Jahrhunderte zurückzuliegen, daß sie beschlossen hatte, eine kleine Pause zu machen.
Sie war zweimal aus der Fassung gebracht worden. Zuerst durch Trent Gamblins Anblick bei seiner Morgengymnastik, dann durch ihr eigenes Bild in dem Modemagazin.
Seit sechs Monaten hatte sie ihr zurückgezogenes Leben ohne Angst vor Entdeckung geführt. Als sie Morey und ihrer Mutter die neue Anschrift mitgeteilt hatte, hatte sie die beiden gewarnt, sie wegen der Rückkehr nach New York zu bedrängen. Sonst würde sie wieder untertauchen und dann keine Spuren hinterlassen.
Nun, mit Trent unter einem Dach, hatte sie plötzlich Angst vor Entdeckung. Er war in ihre Privatsphäre eingedrungen. Rubys Eitelkeit hinderte sie daran, eine Brille zu tragen, obwohl ihr Sehvermögen nicht mehr allzu gut war. So hatte sie trotz ihrer Leidenschaft für Modezeitschriften noch nie ihre langweilige Untermieterin mit der schönen Rana in Verbindung gebracht.
Würde ihr Neffe schlauer sein?
Ranas Überlegungen wurden vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Bevor sie den Hörer abnahm, wischte sie sich die Hände an einem Lappen ab.
»Hallo, Barry«, erwiderte sie freudig, als sich der Anrufer mit Namen gemeldet hatte.
»Ich hoffe, du arbeitest viel. Du bist gefragt, Rana.«
»Tatsächlich?« Sie war froh, daß sich ihre Verbindung für ihn als ebenso lukrativ erwies wie für sie selbst. Rana hatte Barry Golden in New York kennengelernt, wo er als Modeberater für ein großes Kaufhaus arbeitete. Er liebte die Modebranche, haßte jedoch die Großstadt. Als er nach dem Tod seines Großvaters in den Besitz eines kleinen Vermögens kam, war er in seine Heimatstadt Houston zurückgekehrt und hatte ein exklusives Modehaus für die wohlhabendere Bevölkerungsschicht eröffnet.
Als Rana New York verließ, hatte er ihr zugesagt, immer für sie da zu sein, sollte sie ihn jemals brauchen. Vor sechs Monaten hatte sie ihn beim Wort genommen. Es war einfach Glück gewesen, daß sie die Pension in Galveston gefunden hatte, aber es war Barry zu verdanken, daß sie überhaupt die Gegend um Houston in Erwägung gezogen hatte.
Ihre Idee von handbemalten Kleidungsstücken hatte seine Phantasie beflügelt, und er hatte voller Enthusiasmus einige ihrer Originale in seinem Geschäft auf Kommission verkauft. Sie waren ganz schnell weggegangen, und die Nachfrage bei seinen Kundinnen war sprunghaft gestiegen.
»Deine Entwürfe sind einfach phantastisch«, erklärte Barry.
Rana lächelte. Sie sah ihn vor sich, wie er an einer seiner schwarzen Zigaretten zog, die er ununterbrochen rauchte. Er war jähzornig, von brutaler Offenheit und manchmal sehr grob. Aber seine Schroffheit richtete sich immer nach dem Grad seiner Zuneigung. Je ausfallender er sich verhielt, desto mehr verehrten ihn seine Kundinnen.
Hinter Barrys rauher Schale hatte Rana einen einfühlsamen Mann entdeckt, dessen Ausbrüche als Verteidigungsmechanismus dienten. Tatsächlich ließ er einen nie im Stich.
»War Mrs. Tupplewhite zufrieden mit ihrem Kleid?«
»Meine Liebe, als sie es gesehen hat, hat sie sich das Kleid, das sie vorher trug, fast vom Leib gerissen. Es war das gräßlichste Kleid, das ich jemals gesehen habe«, erzählte er mit einem Lachen.
»Hast du's an sie verkauft?«
»Natürlich.« Er gackerte. »Vielleicht haben ja einige meiner Kundinnen keinen Geschmack, aber ich bin ja nicht blöd.«
»Hast du deshalb meine Entwürfe in dein Sortiment aufgenommen?«
»Du bist die Ausnahme von jeder Regel, mein Schatz. Du warst das erste Model, dem ich jemals begegnet bin,
das nicht in sein eigenes Spiegelbild verliebt war. Du bist ein Engel gewesen während all dieser Modenschauen, die ich
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