Sueße Prophezeiung
zwischendurch einen Schluck Wein zu sich zu nehmen.
Avalon legte die Wange in ihre Hand und starrte ins Feuer. Sie wünschte sich in die Einsamkeit ihres Raumes, statt hier den traurigen Klängen des Instruments und tragischen Melodien zu lauschen. Das Feuer erlosch allmählich und sank zu einer rauchenden Glut zusammen.
Claudia beendete gerade ein weiteres Stück, und Avalon stand schnell auf, um sich zurückzuziehen.
»Ihr spielt wunderbar«, lobte sie, während sie sich von der Gruppe entfernte. »Es ist schade, dass ich mich jetzt ausruhen muss. Aber meine Augen fallen mir einfach zu.«
Zu ihrem Erstaunen versuchte Claudia nicht, sie aufzuhalten. Sie strich nur über die Saiten, während sie zusah, wie Avalon sich zurückzog. Die sterbenden Flammen spiegelten sich deutlich in ihren Augen wider.
»Seid bedankt«, sprach Avalon weiter, die vor Ungeduld brannte zu gehen, doch gleichzeitig versuchte, dem Moment einen Anstrich von Normalität zu verleihen. »Ich wünsche Euch eine gute Nacht.«
»Cousine«, erklang eine Stimme hinter ihr.
Avalon drehte sich um und sah Bryce, der aus der Dunkelheit herausgetreten war und ausnahmsweise einmal schweigend auf der Schwelle stand. Sie fragte sich, wie lange er wohl schon dort verharrte.
Neben ihm stand weiter hinten im Schatten ein Mann. Beide betraten jetzt den Raum.
Claudia zupfte nach wie vor an den Saiten ihres Psalteriums. Sie hatte ihre Lippen zu einem Schmollmund verzogen und schaute nach unten.
»Lady Avalon, ich stelle dir deinen Cousin Warner, meinen Bruder, vor. Bitte, entschuldige seine Erscheinung, aber er ist gerade erst vom Festland zurückgekehrt.«
Warner trat vor und griff nach ihrer Hand, um sich darüber zu beugen. Wie Bryce wirkte auch er groß und hell, mit grauen Augen und sandfarbenem Haar; doch zählte er mindestens zwanzig Jahre mehr als Avalon. Er war von einer feinen Staubschicht bedeckt, die die Falten um seine Augen und um den Mund wie Spinnweben erscheinen ließ.
»Cousine«, hauchte er gegen ihren Handrücken.
Sofort befiel sie ein Frösteln, das ihren Arm nach oben kroch, und sie dachte: Aber natürlich, Bryce hat mir nicht den Hof gemacht. Allmächtiger, er will mich nicht für sich selbst ...
Er wollte sie für diesen Mann. Für seinen Bruder.
Bei dieser Entdeckung entwich ihrer Lunge der letzte Atem, und ihre Finger wurden kalt, obwohl Warner sie drückte. Bryce registrierte aufmerksam ihre Reaktion.
Einen Augenblick lang musste sie seine Frechheit bewundern. Tatsächlich plante er, das Eheversprechen zu brechen. Er trotzte dem Zorn zweier Könige und dem Clan Kincardine, damit sie in seiner Familie verblieb. Der Zorn, den er hervorriefe, würde gewaltig sein.
Aber damit behielte er auch all ihre Ländereien und ihr Vermögen. Und das war ebenfalls gewaltig.
Sie unterdrückte das Lachen, das in ihrer Kehle aufstieg. Sie entzog Warner ihre Hand und nickte ihm kühl zu.
»Es ist mir ein Vergnügen«, erklärte er, während er ihr Gesicht musterte und seinen Blick dann dreist über ihre Schultern zu den Brüsten wandern ließ.
Avalon trat einen Schritt zurück. »Bedauerlicherweise kann ich nicht länger verweilen, Mylords. Ich bin heute weit gereist. Jedoch sicherlich nicht so weit wie Ihr, Cousin Warner.« Sie gewährte Warner ein dünnes Lächeln und sah seinen Blick auf ihren Lippen ruhen.
Endlich traf Claudia eine falsche Note auf ihrem Instrument.
»Ich stelle fest, dass auch ich müde bin«, bemerkte sie, während sie aufstand und das Psalterium einer Frau aus ihrem Gefolge reichte. »Lady Avalon kann ich zu ihren Gemächern begleiten, Mylord.«
Bryce blickte erst seine Gattin forschend an, dann Avalon, die sich bemühte, ungeduldig zu erscheinen.
»Also wünsche ich euch eine gute Nacht, meine Lieben«, wandte er sich an beide und verbeugte sich.
»Ich freue mich schon darauf, Euch morgen früh zu sehen«, sagte Warner zu Avalon. Wieder nickte sie und griff nach Claudias Arm. Sie beachtete sein Starren auf ihren Rücken nicht, als sie den Raum verließen.
Avalon kannte den Weg zu Luedellas Gemächern, doch sie blieb schweigend an Claudias Seite und passte, sich deren langsamem und gemessenem Schritt an, der vielleicht eine Folge des vielen Weins war.
Warner heiraten! Bei diesem Gedanken unterdrückte Avalon wieder ein erstauntes Lachen. Dann warf sie Claudia einen Blick zu, die in ihrem benebelten Zustand gelassen weiterging.
Die Idee war vollkommen verrückt, aber Bryce’ Pläne warfen ihre eigenen
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