Sueße Prophezeiung
einer Burg lebte und Menschen um sie waren, die sich um sie kümmerten. Nicht wie jetzt. Nicht wie dieses Leben in einem winzigen Cottage, wo es keine Kindermädchen, keine Spielkameraden und auch sonst keine Gefährten außer dem Lehrmeister gab.
»Mädchen, hüte deine Zunge!« Das kam von ihrem Lehrmeister – eine neue Bedrohung und Ablenkung, die sich zwischen sie und den Laird drängte.
»Nein, werde ich nicht!«
Es schien, als hätte sie drei Jahre lang auf diesen Augenblick gewartet – seitdem sie hierher gebracht worden war –, um sich in diesem Ring aus Staub und Schmutz gegen die beiden Giganten, die sich riesig und Furcht einflößend gegen den Himmel abzeichneten, aufzulehnen. Was sie von ihr wollten, was sie von ihr erwarteten, lag jenseits des Vorstellbaren.
»Es ist nur ein Märchen!«, höhnte sie im Vollgefühl der Macht, endlich das zu sagen, was sie dachte. »Das ist in Wirklichkeit nie passiert! Und ich werde nicht so tun, als wäre es wahr – und ich werde niemals heiraten, weder für Euch noch sonst jemanden und ganz gewiss nicht aufgrund einer erfundenen Geschichte!«
Die Worte, die sie so lange zurückgehalten hatte, schmeckten wunderbar verrucht auf ihren Lippen. Sie waren gefährlich und jetzt nicht mehr aufzuhalten. »Ich werde ihn nie heiraten! Hier und jetzt schwöre ich es – ich werde Euren Sohn niemals heiraten!«
Avalon holte tief Atem, und sie spürte, wie die Welt um sie her still wurde. Der letzte Widerhall ihrer wahren Gedanken schwand schließlich zwischen den Bäumen dahin. Plötzlich fühlte sie sich geschlagen. Ihr Ausbruch hatte ihr das bisschen Rest von Widerspruchsgeist, das noch in ihr flackerte, geraubt. Sie gehörte nicht hierher, sie hasste diesen Ort. Mehr als alles andere wollte sie in der Lage sein, ihn zu verlassen. Der Schmerz, der in ihr aufwallte, war so heftig, dass sogar die Chimäre in ihr davon bezwungen wurde.
»Ich will nach Hause«, flehte sie auf einmal. »Bitte ... lasst mich nach Hause gehen.«
Ein langer Moment des Schweigens senkte sich herab, als ob sogar die Vögel und das sprudelnde Wasser aus Angst um sie erstarrten, angesichts des Zorns, der ihren Worten folgen musste. Die von Hanoch zischend eingesogene Luft beendete schließlich die Stille.
»Das ist also der Dank, den ich ernte!« Mühelos schob er ihren Lehrmeister beiseite. Dieser widersetzte sich nicht und verschmolz mit den Bäumen und den Bergen im Hintergrund. Er ließ Avalon allein mit ihrem Schicksal.
Hanoch war weiß vor Wut.
»Nachdem ich dich bei dem Überfall gerettet habe, der deinen Vater das Leben kostete, und dich hierher brachte, in mein Heim, zu meinen Leuten – nachdem ich dich, Avalon d’Farouche, um deines Vaters und meines Sohnes willen aufgenommen habe! Nach all dem wagst du es, zu heulen und zu jammern und ausgerechnet das zu verhöhnen, was dir das Leben gerettet hat!«
»Flüche sind nicht real«, wisperte sie. Mittlerweile war sie so verängstigt, dass sie sich nicht einmal traute, sich die Augen zu wischen. Das Haar hing ihr ins Gesicht und bildete einen Vorhang aus blonden Strähnen zwischen ihm und ihr.
»Real?«, brüllte er und trat auf sie zu. Sie zuckte zusammen, als sich seine Hände auf ihre Schultern senkten, aber sie versuchte nicht wegzulaufen. Es würde ihr nichts nützen, ihr Onkel hatte überall Wachtposten.
»Real?«, schrie er wieder und hob sie mühelos hoch, als sei sie nichts weiter als eine Stoffpuppe. Ihre Füße baumelten in der Luft. »Ich werde dir zeigen, was real ist, Mädchen! Ich zeige dir die Realität eines Tages und einer Nacht im Besenschrank. Wie hört sich das an?«
Ihre Lippen bewegten sich, aber sie brachte keinen Laut heraus. Er hätte sie ohnehin nicht gehört, denn er brachte sie in das kleine Cottage zurück, wo sie ihr unglückliches Dasein fristete.
Sie fing an zu strampeln, als er die Küche betrat und an der Köchin mit dem verhärmten Gesicht vorbeiging, die schnell den Raum verließ. Mühelos hielt er sie nur mit einer Hand fest, während er mit der anderen die Tür zum Besenschrank aufriss.
»Da drinnen kannst du darüber nachdenken, was real ist, undankbares Gör!«
Sie wurde in den winzigen Verschlag gestoßen, wo sie hart gegen die hintere Wand prallte und von da auf den Boden rutschte, während sie eine Hand auf ihren Mund presste.
Ihr Onkel stand immer noch auf der Schwelle. Er schaute auf sie hinab, mit einer Miene, die inzwischen wieder die so vertraute dünne Linie seines Mundes
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